• 25.8.2015

Schwarmbildung in Nanosystemen

Starke Gemeinschaft: Gruppenverhalten biomolekularer Systeme

Schwarmverhalten ist in der Natur oft zu beobachten, zum Beispiel bei Vögeln, Fischen und sogar Bakterien. Überraschend ähnliche kollektive Verhaltensweisen zeigen auch Biomoleküle auf zellulärer Ebene. Diese Fähigkeit zur Selbstorganisation bildet die Grundlage allen Lebens. Münchener Physiker konnten zeigen, wie solche Prozesse koordiniert werden.

Selbstorganisation auf molekularer Ebene führt zu faszinierenden Strukturen.
Selbstorganisation auf molekularer Ebene führt zu faszinierenden Strukturen. (Bild: Bausch & Suzuki / TUM)

Lebende Materie, die aus einer Vielzahl molekularer Bausteine besteht, hat die außergewöhnliche Fähigkeit, sich selbst zu organisieren und kollektive Bewegungen auszuführen. Physiker interessieren sich für die zugrunde liegenden theoretischen Mechanismen. Professor Andreas Bausch und Dr. Ryo Suzuki von der Technischen Universität München (TUM) haben gemeinsam mit Prof. Erwin Frey und Dr. Christoph Weber der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) neue Erkenntnisse zu dieser Fragestellung in den Fachblättern "Nature Physics" und "PNAS" publiziert. Diese zeigen, dass bisherige Theorien fehlerhaft waren.

Die Wissenschaftler untersuchten ein Modellsystem aus fadenförmigen Aktin-Molekülen. Diese Mikrofilamente sind an der aktiven Bewegung von Zellen und an intrazellulären Transportvorgängen beteiligt. Zunächst fixierten die Forscher Motorproteine auf einem Objektträger. Dann gaben sie die Filamente und eine biochemische Energiequelle hinzu. Durch die Interaktion mit den molekularen Motoren zeigten die Filamente gleitende Bewegungen. Die Physiker konnten so studieren, wie sich einzelne Filamente verbiegen, und unter welchen Bedingungen sich die Filamente kollektiv ausrichten. 

Gemäß der bisher gängigen Theorie galt vorwiegend die Brown´sche Wärmebewegung als ursächlich dafür, wie sich die dünnen Filamente verbiegen, während die Motoren sie vorwärts bewegen. "Diese Annahme ist aber falsch", sagt Christoph Weber, der mittlerweile am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme arbeitet. "Die Brown´sche Bewegung hat nur einen geringen Einfluss auf die Form der Filamente." Die Münchener Forscher konnten jetzt nachweisen, dass stattdessen die molekularen Motoren nicht nur die Partikel antreiben, sondern auch dafür sorgen, dass sich die Partikel biegen. "Die Filamente zeigen starke lokale Krümmungen, die einer Verteilung gehorchen, die nicht mit der Wärmebewegung erklärt werden kann", sagt Ryo Suzuki.

Wechselwirkungen nicht nur paarweise

Zudem konnten die Physiker zeigen, dass nicht etwa wiederholte Stöße zwischen jeweils zwei Partikeln dazu führen, dass sich die Filamente nach und nach ausrichten und dann kollektiv vorwärts bewegen. Tatsächlich scheinen gleichzeitige Interaktionen zwischen vielen Partikeln für kollektive Bewegungen verantwortlich zu sein. 

Die Forscher konnten im Experiment beobachten, dass sich abhängig von der Dichte und Länge der Filamente ein sogenannter Phasenübergang von einer nicht ausgerichteten zu einer kollektiv bewegenden Phase ergibt. Dies ähnelt dem Kondensieren von Gas zu einer Flüssigkeit, nur mit dem Unterschied, dass sich nicht die Molekülbewegung, sondern die Ausrichtung der Partikel ändert. 

Theoretisch betrachtet bedeutet das, dass die bislang favorisierte sogenannte Gastheorie für angetriebene Partikel als Erklärung im Allgemeinen nicht ausreicht, um die Beobachtungen zu erklären. Es sieht eher so aus, als würden sich die Filamente kollektiv wie in einer Flüssigkeit bewegen. 

"Wir brauchen neue theoretische Konzepte, die über das gasartige Bild, wie kollektive Bewegung entsteht, hinausgehen", sagt LMU-Physiker Erwin Frey. Was auf mikroskopischer Ebene beim gemeinsamen Ausrichten physikalisch passiert, also wie die Filamente reiben oder sich austauschen, ist bislang noch nicht geklärt. 

Ein besseres Verständnis der physikalischen Vorgänge bei aktiven Systemen ist notwendig, um die Bildung von Strukturen und Mustern zu verstehen, die Leben erst ermöglichen, erklärt Andreas Bausch, Professor am Physik-Department der TUM. "Dies könnten es Wissenschaftlern ermöglichen, vollkommen neuartige Nanosysteme, die im Kollektiv agieren, zu konstruieren."  

Publikationen:

Polar pattern formation in driven filament systems requires non-binary particle collisions, Ryo Suzuki, Christoph A. Weber, Erwin Frey and Andreas R. Bausch; Nature Physics 2015, 10.1038/nphys3423 

Random bursts determine dynamics of active filaments; Christoph A. Weber, Ryo Suzuki, Volker Schaller, Igor S. Aranson, Andreas R. Bausch, and Erwin Frey, Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) 2015, 10.1073/pnas.1421322112

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Kontakt

Prof. Andreas Bausch
Technische Universität München
Lehrstuhl für Zellbiophysik
Tel:  +49 (0) 89 289 12480
andreas.bausch@ph.tum.de

Technische Universität München

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