• 18.9.2020
  • Lesezeit: 6 Min.

Europäischer Forschungsrat bewilligt fünf Starting und zwei Proof-of-Concept Grants

ERC fördert zukunftsweisende Projekte an der TUM

Von neuen Methoden zur Untersuchung einzelner Zellen, über physikalische Grundlagen der Reaktionen von Gefäßsystemen, die Entwicklung einer besseren Prognosemethodik für Osteoporose oder intelligenter Werkzeuge zur Stadtplanung, bis hin zur Aufklärung der Natur Dunkler Materie: Der Europäische Forschungsrat (ERC) fördert künftig sieben zukunftsweisende Projekte an der Technischen Universität München (TUM), fünf Starting Grants und zwei Proof-of-Concept Grants.

Schleimpilz Physarum polycephalum B. Kscheschinski / MPIDS
Die Anpassungsfähigkeit von lebenden Strömungsnetzwerken lässt sich am Schleimpilz Physarum polycephalum sehr gut untersuchen. Mittels Mikroinjektion wird die Strömung in Physarum farblich markiert.

Forscherinnen und Forscher an der TUM konnten bislang insgesamt 135 der renommierten Förderungen des European Research Councils (ERC) einwerben. Diese werden jedes Jahr in verschiedenen Kategorien vergeben.

Starting Grants sollen dabei exzellenten aufstrebenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Umsetzung neuer Forschungsansätze ermöglichen. Sie sind mit bis zu zwei Millionen Euro dotiert.

Proof-of-Concept Grants werden an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben, die prüfen wollen, ob aus ihren ERC-Forschungsprojekten marktfähige Innovationen entstehen können. Als unternehmerische Universität legt die TUM auf diesen Aspekt der Forschung großen Wert und fördert gezielt Firmengründungen durch Forschende und Studierende.

Prof. Dr. Karen Alim (Physik; Starting Grant)

Mit Flüssigkeiten durchströmte Netzwerke wie unser Blutkreislauf sind wichtige Bausteine des Lebens – von einfachen Schleimpilzen bis hin zu Säugetieren wie dem Menschen. Sie transportieren nicht nur Substanzen und Signale, sondern sie können auch ihre Netzwerkarchitektur dynamisch an neue Anforderungen anpassen. Oftmals bleiben solche Änderungen dann langfristig im Netzwerk gespeichert.

Im Projekt „FlowMem“ möchte Prof. Karen Alim die physikalischen Prinzipien identifizieren, die hinter der dynamischen Speicherung solcher Änderungen der Netzwerkarchitektur stehen und aufklären, wie diese gesteuert werden können. Die Kenntnis dieser physikalischen Mechanismen liefert die Basis für neue Ansätze bei so unterschiedlichen Themen wie der Behandlung von Gefäßerkrankungen oder der Tumorentwicklung wie auch der Entwicklung selbstoptimierender poröser Medien für Brennstoffzellen.

Prof. Dr. Karen Alim ist Professorin für Biologische Physik und Morphogenese am Physik-Department der TUM und bis 2022 weiterhin Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbst-Organisation in Göttingen.

Dr. Francesca Bellini (Physik; Starting Grant)

Physiker vermuten derzeit, dass die Dunkle Materie im Universum aus WIMPs, schwach wechselwirkenden, massiven Teilchen besteht. Anti-Kerne in der kosmischen Strahlung, entstanden bei der Zerstrahlung zweier Dunkler Materie Teilchen, könnten dies belegen. Doch sie könnten auch aus hoch-energetische Zusammenstöße kosmischer Teilchen entstanden sein. Im Moment ist daher unklar, ob die leichten Anti-Kerne, die das Experiment AMS-02 auf der internationalen Raumstation ISS beobachtet hat, wirklich von Dunkler Materie herrühren.

Am ALICE-Experiment am Large Hadron Collider am CERN in Genf will die Physikerin Francesca Bellini systematisch die Produktion von seltenem Anti-Helium in Kollisionen von Protonen und Blei-Kernen untersuchen. Auf diese Weise will sie im Rahmen ihres ERC Grant-Projekts CosmicAntiNuclei den zu erwartenden Anti-Helium-Hintergrund vorhersagen, damit laufende und zukünftige Experimente unterscheiden können, ob Anti-Kerne aus dem All aus der Vernichtung von Dunkler Materie stammen oder dem kosmischen Hintergrund zu zuordnen sind.

Das ERC Team von Dr. Francesca Bellini wird in der Forschungsgruppe für Dichte und seltsame hadronische Materie von Prof. Laura Fabbietti im Physik-Department der TUM arbeiten. Mit ALICE gewonnene Daten analysiert Francesca Bellini seit mehr als zehn Jahren, zuletzt als Marie Curie Fellow am CERN.

Dr. Dominik B. Bucher (Chemie; Starting Grant)

In biologischen Experimenten werden meist ganze Zellverbände untersucht. Doch Vorgänge wie die Ausbildung von Arzneimittelresistenzen oder die Entstehung von Tumoren beginnen immer mit der Veränderung individueller Zellen. Aufgrund ihrer hohen chemischen Spezifität und weil sie nichtinvasiv ist, ist die Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) eines der wichtigsten Analysemethoden in der (Bio)Chemie. Für die Untersuchung der Vorgänge in einzelnen Zellen reicht ihre Empfindlichkeit aber bishernicht aus.

Diese Einschränkung möchte Dr. Dominik Bucher in seinem Projekt „SingleCellQNMR“ überwinden und eine Technologie entwickeln, die es ermöglicht einzelne Zellen mit Magnetresonanzmethoden zu untersuchen. Dazu möchte er neuartige Diamant-Quantensensoren nutzen und weiterentwickeln, die NMR-Signale in kleinsten Probevolumina, beispielsweise in einzelnen Zellen, detektieren können.

Dr. Dominik B. Bucher ist TUM Junior Fellow und Leiter der Emmy Noether-Nachwuchsgruppe „Biomolekulare Quantensensorik“ am Lehrstuhl für Physikalische Chemie der TU München.

Dr. Veit Buchholz (Medizin; Starting Grant)

Aktuelle Forschungsergebnisse legen nahe, dass das immunologische Gedächtnis eines Organismus auf stammzellähnlichen Mechanismen aufbauen könnte. Hierbei erzeugen einzelne Immunzellen sowohl kurzlebige Effektorzellen als auch langlebige Gedächtniszellen als Nachkommen. Um die regulatorischen Prinzipien hinter diesem Prozess besser zu verstehen, entwickelte Dr. Veit Buchholz Kartierungstechnologien, mit denen er das Schicksal einzelner Zellen und ihrer Nachkommen während einer adaptiven Immunantwort nachverfolgen kann.

Diese möchte er nun in seinem Project „SCIMAP“ mit Einzelzell-RNA-Sequenzierung, genetischen Reportersystemen und der kontinuierlichen Bildgebung lebender Zellen kombinieren, um die Erschöpfung von T-Zell-Reaktionen bei chronischen Infektionen oder die Entwicklung des immunologischen Gedächtnisses bei Natürlichen Killerzellen eingehender zu untersuchen. Ziel dieser Arbeiten ist es, neue molekulare Zielstrukturen und therapeutische Strategien zu identifizieren, um die schützende Immunität gegen Infektionen oder bösartige Erkrankungen zu stärken.

Dr. med. Veit Buchholz ist Gruppenleiter am Lehrstuhl für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene am Klinikum rechts der Isar der TU München.

Dr. Giulia Palermo (Physik; Starting Grant)

Allosterie ist eine grundlegende Eigenschaft von Proteinen, bei der kleinere Moleküle die Konformation des Proteins verändern und damit auf das aktive Zentrum Einfluss nehmen. In ihrem Projekt „Allosteric-CRISPR“ richtet Dr. Giulia Palermo ihr Augenmerk insbesondere auf das CRISPR-Cas9-System, das Kernstück der jüngsten Revolution in der Genomeditierung, dessen grundlegende Signalübertragung aber noch immer wenig verstanden ist.

Mit einem breiten Methodenrepertoire möchte Giulia Palermo das allosterische Kommunikationsnetzwerk und die Rolle der Allosterie in der Dynamik von CRISPR-Cas9 sowie deren Auswirkungen auf die Genomeditierung untersuchen. Die dabei entwickelte Untersuchungsmethodik soll die zukünftige Erforschung großer Nukleoproteinkomplexe vorantreiben, und zur Entwicklung verbesserter Genombearbeitungswerkzeuge beitragen.

Frau Dr. Giulia Palermo wird ihre Forschungsarbeiten in Kooperation mit der Arbeitsgruppe „Molekulardynamik“ von Prof. Martin Zacharias im Physik-Department der TU München durchführen.

Prof. Dr. Jan Kirschke (Medizin; Proof of Concept Grant)

Weltweit tritt alle drei Sekunden eine osteoporotische Fraktur auf – allein in Europa wird die wirtschaftliche Belastung dadurch auf 37 Mrd. EUR pro Jahr geschätzt. Dabei ist Osteoporose eine vermeidbare, behandelbare Krankheit, wenn sie in einem frühen Stadium diagnostiziert wird. Die derzeitigen Screening-Methoden sind jedoch weder ausreichend verfügbar noch genau genug.

Mit seinem Proof-of-Concept-Projekt „BoneScreen“ will Prof. Jan Kirschke diese Lücke schließen und eine kostengünstige und genaue Screening-Methode bereitstellen. Aus Computertomographiedaten berechnet die Software vollautomatisch die volumetrische Knochenmineraldichte (vBMD), den wichtigsten Indikator für das Frakturrisiko eines Patienten. Darüber hinaus soll das Projekt die Gründung eines Unternehmens zur Vermarktung dieser Lösung einleiten.

Prof. Dr. Jan Kirschke arbeitet in der Abteilung für Interventionelle und Diagnostische Neuroradiologie des Klinikums rechts der Isar der TU München. 2014 warb er bereits den ERC Starting Grant iBack ein, dessen Forschungsergebnisse BoneScreen zugrunde liegen.

Prof. Dr. Xiaoxiang Zhu (Luftfahrt, Raumfahrt und Geodäsie; Proof-of-Concept Grant)

Immer mehr Menschen zieht es in die Städte, eine enorme Herausforderung für Stadtplanung und Logistik. Seit Jahrzehnten umkreisen Erdbeobachtungssatelliten die Erde und generieren riesige Datenmengen. Prof. Xiaoxiang Zhu nutzt diese, um den globalen Urbanisierungsprozess zu beobachten. Gemeinsam mit ihrem Team entwickelt sie innovative KI-Methoden und Big-Data-Analytics-Lösungen, die eine Auswertung der Daten ermöglichen. 

In ihrem Projekt „AI4SmartCities“ stehen praktische Anwendungen der neuen Technik im Vordergrund. Mit ihr lassen sich beispielsweise Veränderungen von Gebäuden, Stadtteilen oder auch Verkehrsflüssen sichtbar machen. Dies schafft die Voraussetzung für intelligente Stadtplanungstools, smarte Verkehrsmanagement-Lösungen, aber auch Detektionssysteme für eine frühzeitige Erkennung von Gebäudeschäden. Im Projekt soll unter anderem ein Geschäftsmodell für ein Spin-off entwickelt werden, das Daten für solche Smart-City-Anwendungen bereitstellt.

Prof. Dr. Xiaoxiang Zhu ist Professorin für Signalverarbeitung in der Erdbeobachtung an der TUM, leitet die Abteilung „EO Data Science am DLR und ist seit Mai 2020 auch Direktorin des Münchner KI-Zukunftslabors „AI4EO“.

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