• 2.6.2016

Forscher entwickeln Methode zur Kartierung regulatorischer Bereiche im Erbgut

Zwischen den Genen lesen

Lange Zeit galten sie als "Junk-DNA", doch inzwischen ist bekannt, dass auch DNA-Bereiche zwischen den Genen lebenswichtige Funktionen haben. Diese regulatorischen Bereiche des Erbguts lassen sich bisher allerdings nur schwer aufspüren. Wissenschaftlern um Prof. Julien Gagneur, Professur für Computergestützte Biologie an der Technischen Universität München (TUM), und Prof. Patrick Cramer vom Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie in Göttingen ist es gelungen, eine Technik zu entwickeln, mit der regulatorische DNA-Bereiche sichtbar werden. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachmagazin "Science".

Zwischen den Genen lesen.
Zwischen den Genen lesen. (Bild: zketch / fotolia)

Als Gene werden Abschnitte auf unserer DNA bezeichnet, in denen die Baupläne für Proteine enthalten sind. Proteine steuern essentielle Prozesse in unserem Körper. So ist Hämoglobin etwa für den Sauerstofftransport im Blut verantwortlich. Damit jedes Protein zur rechten Zeit am rechten Ort in unserem Körper seine Aufgaben erfüllen kann, muss die Aktivität des dazugehörigen Gens genau kontrolliert werden. Diese Funktion übernehmen regulatorische DNA-Bereiche zwischen den Genen, die als hochkomplexes Steuerungswerk fungieren. "Regulatorische DNA-Bereiche sind unter anderem lebenswichtig für die Entwicklung des Menschen, den Erhalt von Geweben und die Immunantwort", erklärt Patrick Cramer, Leiter der Abteilung Molekularbiologie am MPI für biophysikalische Chemie. "Darüber hinaus spielen sie bei vielen Krankheiten eine wichtige Rolle. Krebs- und Herzkreislaufpatienten beispielsweise haben genau in diesen DNA-Abschnitten viele Veränderungen", so der Biochemiker.

Wenn regulatorische DNA-Bereiche aktiv sind, werden von ihnen zunächst RNA-Kopien erstellt. "Die daraus resultierenden RNA-Moleküle haben für uns Forscher allerdings einen großen Nachteil: Sie werden von der Zelle rasch wieder abgebaut und lassen sich daher bislang nur schwer aufspüren", berichtet Prof. Julien Gagneur, der vor kurzem vom Genzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität an die TUM gewechselt ist. "Aber gerade die sehr kurzlebigen RNA-Moleküle wirken oft als lebenswichtige molekulare Schalter, die Gene gezielt aktivieren, wenn sie an einem bestimmten Ort des Körpers benötigt werden. Ohne diese Schalter würden unsere Gene nicht funktionieren."

Anker für kurzlebige molekulare Schalter

Dem Wissenschaftler-Team ist es nun gelungen, eine hochempfindliche Methode zu entwickeln, mit der sich auch sehr kurzlebige RNA-Moleküle einfangen und identifizieren lassen – das sogenannte TT-Seq (für englisch: transient transcriptome sequencing). Über die Ergebnisse berichtet das renommierte Wissenschaftsjournal Science in seiner aktuellen Ausgabe.

Um die RNA-Moleküle einzufangen, verwendeten die Forscher einen Trick: Sie verabreichten den Zellen für einige Minuten ein Molekül, das als eine Art Anker wirkt. Die Zellen bauten daraufhin diesen Anker in jede RNA ein, die sie in der Versuchszeit herstellten. Mithilfe des Ankers konnten die Wissenschaftler schließlich auch die kurzlebigen RNA-Moleküle aus der Zelle herausfischen und untersuchen.

"Die so gefundenen RNA-Moleküle stellen eine Momentaufnahme aller DNA-Bereiche dar, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zelle aktiv waren – der Gene ebenso wie der bislang schwer auffindbaren regulatorischen Bereiche zwischen den Genen", erläutert Cramer.  "Mit der TT-Seq-Methode haben wir jetzt das geeignete Werkzeug an der Hand, um etwas darüber zu lernen, wie Gene in verschiedenen Zelltypen gesteuert werden und wie genregulatorische Programme arbeiten", ergänzt Gagneur.

In vielen Fällen haben Forscher schon eine recht genaue Vorstellung davon, welche Gene bei einer bestimmten Krankheit eine Rolle spielen, kennen aber die daran beteiligten molekularen Schalter nicht. Die Wissenschaftler um Gagneur und Cramer hoffen, mithilfe der neuen Methode dazu beitragen zu können, wichtige Schlüsselmechanismen aufzudecken, die bei der Entstehung und dem Verlauf von Krankheiten eine Rolle spielen. In einem nächsten Schritt möchten sie ihre Methode unter anderem auf Blutzellen anwenden, um den Verlauf einer HIV-Infektion bei AIDS-Patienten besser zu verstehen.

Publikation
Björn Schwalb, Margaux Michel, Benedikt Zacher, Katja Frühauf, Carina Demel, Achim Tresch, Julien Gagneur, Patrick Cramer: TT-Seq maps the human transient transcriptome, Science, 3 June 2016, doi: 10.1126/science.aad9841

Link: http://science.sciencemag.org/cgi/doi/10.1126/science.aad9841

Kontakt
Technische Universität München
Prof. Dr. Julien Gagneur
Fakultät für Informatik
+49 89 289-19411
gagneur@in.tum.de

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