Welches Kraftwerk für welches Ökosystem? „FIThydro“-Projektleiter Peter Rutschmann im Interview

Großeinsatz für eine naturfreundliche Wasserkraft

Die Wasserkraft schien keine Geheimnisse mehr zu haben. Doch nun schwärmen Forscherinnen und Forscher aus 26 Institutionen in ganz Europa aus, um die Auswirkungen von Wasserkraftwerken auf unterschiedliche Ökosysteme zu untersuchen. Projektkoordinator Prof. Peter Rutschmann von der Technischen Universität München (TUM) erklärt, warum sie Fische mit Ultraschall beobachten, wie Kraftwerksbetreiber von den Erkenntnissen profitieren und wie der Konflikt zwischen umweltfreundlicher Stromerzeugung und Naturschutz entschärft werden könnte.

Prof. Peter Rutschmann, Leiter des Projekts "FIThydro"
Prof. Peter Rutschmann, Leiter des Projekts "FIThydro". (Bild: Kurt Bauer / TUM)

Es scheint in Europa mehr und mehr Konflikte um Wasserkraftwerke zu geben. Woran liegt das?

Im Jahr 2000 wurde in der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie festgelegt, dass die Gewässer in einen guten oder sehr guten ökologischen Zustand gebracht werden, wozu auch ihre Durchgängigkeit für Organismen und Sediment zählt. Jetzt kommen wir in die Phase, in der konkrete Pläne verwirklicht werden müssen. Gleichzeitig laufen die Konzessionen für viele Wasserkraftwerke aus, die vor Jahrzehnten gebaut wurden und noch nicht die Anforderungen der Richtlinie erfüllen.

Können diese Wasserkraftwerke nicht so umgebaut werden, dass sie für Lebewesen durchgängig sind?

Größtenteils schon, aber gestritten wird über die Frage: Wie viel Durchgängigkeit brauchen wir, um nachhaltige Populationen sichern zu können? Und dass diese Konflikte nicht so einfach gelöst werden können, hat auch folgenden Grund: Wir nutzen die Wasserkraft zwar schon lange, wissen aber über etliche Aspekte immer noch zu wenig. Beispielsweise gibt es kaum wissenschaftlich gesicherte Zahlen, wie viele Fische einer bestimmten Art an bestimmten Kraftwerkstypen zu Schaden kommen und welche Auswirkungen dies auf den Erhalt der Gesamtpopulation hat.

Außerdem haben sich mit der Energiewende die Aufgaben und damit die Arbeitsweisen mancher Kraftwerke geändert. Speicher, die früher für langfristigen Ausgleich vorgesehen waren, werden heute kurzfristig eingesetzt, wenn Windräder stillstehen. Weil dann der Wasserspiegel sehr schnell sinkt, bleiben Jungfische auf den Kiesbänken hängen.

Welche Fragen wollen Sie im Forschungsprojekt „FIThydro“ klären?

Wir wollen herausfinden, welche Technologien und Konzepte in verschiedenen Szenarien die besten sind. Ein Beispiel: Um Fischpopulationen zu erhalten, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Entweder man schützt die Tiere vor der Kraftwerksturbine. Oder man sorgt dafür, dass sich die Population gut regenerieren kann, indem man neue Laichgründe ermöglicht, beispielsweise indem man frühere Nebenzuflüsse wieder an ein Gewässer anbindet.

Was funktioniert wo für welche Tiere besser und zu welchem Preis? Um das zu untersuchen, entwickeln wir an der TUM auch eine neue Ultraschalltechnologie, mit der die Position, die Schwimmwege, die Größe und sogar die Art von Fischen auf einige hundert Meter Entfernung bestimmt werden können – ohne dass die Tiere mit einem Sender versehen werden müssen.

Es klingt dennoch nach einer Mammutaufgabe, alle möglichen Szenarien in Europa zu untersuchen.

Wir analysieren exemplarisch 17 Standorte mit verschiedenen Kraftwerksanordnungen, an denen sich unterschiedliche Herausforderungen stellen. Dafür haben wir vier Regionen ausgewählt, die ein gesamteuropäisches Bild ergeben: Skandinavien als größten Wasserkraftproduzenten, den Alpenraum mit großen Fallhöhen, die Iberische Halbinsel als trockene Region sowie Frankreich und Belgien für das europäische Flachland. Alle haben ihre Eigenheiten, was die Flusstopologien, die Ökosysteme und die Energiewirtschaft angeht. Was sich außerdem von Land zu Land unterscheidet, ist das Verständnis von Umwelt. Deshalb arbeiten neben Ingenieur- und Naturwissenschaftlern auch Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler in unserem Projekt.

Und anschließend? Nicht alle Kraftwerksbetreiber wollen dicke Studien lesen.

Unser Ziel ist ein Online-Werkzeug, das bei der Planung und Beurteilung von Wasserkraftwerken eingesetzt werden kann. Mit Angaben über das Kraftwerk und sein Umfeld soll das System ermitteln: Wie gefährdet sind die dort lebenden Fische? Welche Maßnahmen nutzen dem jeweiligen Ökosystem am meisten? Wie kann das Kraftwerk gleichzeitig wirtschaftlich arbeiten? So können Lösungen gefunden werden, die wissenschaftlich fundiert sind und alle Interessen berücksichtigen.

Erwarten Sie, dass dann mehr Wasserkraftwerke gebaut werden können?

Größeres Potenzial gibt es hauptsächlich in Südosteuropa. Aber der Ausbau steht nicht im Mittelpunkt des Projekts, sondern eine grundsätzlichere Überlegung: Wir leben in einer Umwelt, die vom Menschen massiv verändert wurde und wird. Uns geht es um flexibles, professionelles Management, um negative Auswirkungen auf die Ökologie so gering wie möglich zu halten.

Mehr Informationen:

Am Forschungsprojekt „Fish friendly Innovative Technologies for hydropower (FIThydro)“ sind 13 Forschungseinrichtungen und 13 Unternehmen in Deutschland, Belgien, Estland, Frankreich, Großbritannien, Norwegen, Österreich, Portugal, der Schweiz und Spanien beteiligt. Koordiniert wird es am Lehrstuhl für Wasserbau und Wasserwirtschaft der Technischen Universität München (TUM). An der TUM arbeiten außerdem der Lehrstuhl für Aquatische Systembiologie, der Lehrstuhl für Produktions- und Ressourcenökonomie, der Lehrstuhl für Zerstörungsfreie Prüfung und das Munich Center for Technology in Society (MCTS) mit. Das Projekt wird mit 7,2 Millionen Euro vom EU-Forschungsprogramm „Horizon 2020“ und vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) gefördert.

Kontakt:

Prof. Dr. Peter Rutschmann
Technische Universität München (TUM)
Lehrstuhl für Wasserbau und Wasserwirtschaft
Tel: +49 89 289 23161
peter.rutschmannspam prevention@tum.de

 

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