• 15.7.2020
  • Lesezeit: 3 Min.

Neuronale Schaltkreise im Gehirn ‚spüren‘ unseren inneren Zustand

Ausgewogene Entscheidungen treffen

Wie Entscheidungen getroffen und Verhalten gesteuert werden, ist eine der wichtigsten Fragen der Neurowissenschaft. Der Botenstoff Dopamin spielt dabei in unserem Gehirn eine wesentliche Rolle. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) haben zusammen mit Forschenden am Max-Planck-Institut für Neurobiologie die Funktionen von Dopamin beim Entscheiden und bei der Steuerung von Bewegung untersucht.

Fliege Drosophila melanogaster Nicolas Gompel
Dopamin hilft Tieren wie der Fliege Drosophila melanogaster gut und schlecht (symbolisiert durch schwarz und weiß) in ihre Entscheidungen einzuordnen.

Lebewesen haben eine angeborene Duft- und Geschmackspräferenz. Attraktive Düfte sind beispielsweise mit Nahrung verknüpft. Bei weniger attraktiven Düften – zum Beispiel bei verdorbenen Speisen – weiß ein Lebewesen instinktiv: „Hier könnte Gefahr drohen!“. Auch beim Geschmack haben alle Lebewesen ähnliche Präferenzen: Zucker und Fette werden positiv wahrgenommen, ein bitterer Geschmack eher negativ.

Um solche Bewertungen machen zu können brauchen wir Signale im Gehirn, die uns sagen: „Das ist gut!“ oder „Das ist schlecht!“ Eine wichtige Rolle bei diesen Bewertungen spielt das dopaminerge System im Gehirn, besser bekannt als Belohnungssystem.

Vorgänge im Gehirn verstehen

Neuronen, die Dopamin produzieren, so genannte dopaminerge Neuronen, sind für viele Krankheiten relevant. Suchtverhalten, Übergewicht oder auch die Parkinson’sche Krankheit sind Beispiele dafür. Bei Sucht oder Adipositas gerät das Belohnungssystem durcheinander, bei Parkinson sterben dopaminerge Neuronen ab und beeinflussen die motorische Steuerung.

Um mehr über die Vorgänge im Gehirn zu erfahren, ist Grundlagenforschung unabdingbar. Ilona Grunwald Kadow, Professorin für Neuronale Kontrolle des Metabolismus an der TUM School of Life Sciences am Standort Weihenstephan, forscht dazu mit ihrem Team an der Fliege Drosophila melanogaster.

Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler forschen häufig am Modell dieser Fliege, da bei ihr die neuronalen Netze um einiges einfacher aufgebaut sind als beim Menschen und genetische Tricks es erlauben die Rolle von einzelnen Netzwerkkomponenten gezielt ein- und auszuschalten oder zu verändern. So können die Forschenden die Prinzipien neuronaler Schaltkreise verstehen, die der Funktion auch komplexerer Gehirne zu Grund liegt. „Dopamin spielt im Gehirn von Menschen und Insekten eine sehr ähnliche Rolle“, erklärt die Wissenschaftlerin.

Wirkung von Dopamin weiter aufklären

Dopamin gehört zu den am intensivsten untersuchten Signalen im Gehirn. Es ist sowohl in kognitive (z. B. Motivation, Verstärkung, zielorientiertes Verhalten, motorische Kontrolle und Bewegung, Entscheidungsfindung und Lernen) als auch in grundlegendere Funktionen (z. B. Fortpflanzung und Übelkeit) involviert.

Wie Dopamin zu den verschiedenen Aspekten der Funktion und des Verhaltens der neuronalen Schaltkreise beiträgt, ist eine offene Frage, aber es wird vermutet, dass dopaminerge Neurone durch unterschiedliche Aktivitätsmuster dem Gehirn signalisieren, was der Organismus braucht und empfindet. „Wir haben nun die Aktivität der dopaminergen Neuronen genauer untersucht“, sagt Ilona Grunwald Kadow. Das Team entwickelte dafür eigens eine neue 3D-Bildgebungsmethode basierend auf der in-vivo-Kalzium-Bildgebung, da Kalzium ein guter Indikator für neuronale Aktivität ist.

Neuronen reagieren flexibel und individuell

Mit Hilfe dieser Methode konnte das Forschungsteam zeigen, dass die gemeinsame Aktivität von einem Netzwerk an dopaminergen Neuronen sowohl die angeborene Geruchs- oder Geschmackspräferenz als auch den physiologischen Zustand des Organismus widerspiegelt.

Neben sensorischen Reizen wie Gerüchen oder Geschmack nehmen dopaminerge Neuronen auch die Information auf, ob ein Lebewesen in Bewegung ist oder nicht. Die Neuronen können auf innere Verhaltenszustände und äußere Signale reagieren, sie zusammenfügen und damit sowohl kognitive als auch motorische Prozesse unterstützen.

„Dabei können die Neuronen flexibel und individuell auf die wichtigsten Informationen – etwa Duft, Geschmack, aber auch Hunger oder die eigene Bewegung – reagieren. Das ist für eine ausgewogene Entscheidung wichtig, denn ein äußeres Signal kann je nach Zustand mal gut oder auch mal schlecht bedeuten“, so Prof. Grunwald Kadow.

Überraschende Ergebnisse

Überrascht hat die Forschenden, dass sich dopaminerge Neuronen von Tier zu Tier recht unterschiedlich verhalten. Eventuell ließen sich so individuelle Präferenz- und Verhaltensunterschiede von Individuen erklären, spekulieren die Wissenschaftler. Zudem zeigte sich, dass die Bewegung des Tieres nicht nur diese dopaminergen Neurone aktiviert, sondern auch andere Bereiche des Hirns, die eigentlich nichts per se mit Bewegung zu tun haben. Hieraus ergeben sich Ansatzpunkte für weitere Forschungen, zum Beispiel dazu, welche Rolle Bewegung für allgemeine Hirnaktivität spielt.

Weitere Informationen und Links

Diese Studie wurde aus Drittmitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) (SFB870 [A04] und FOR2705 [TP3]), eines ERC Starting Grants und im Rahmen der Exzellenzstrategie im Münchner Cluster für Systemneurologie (SyNergy) finanziert und erhielt weitere Fördermittel von der Max-Planck-Gesellschaft.

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Kontakte zum Artikel:

Prof. Dr. Ilona Grunwald Kadow
Technische Universität München
Professur für Neuronale Kontrolle des Metabolismus
TUM School of Life Sciences
Tel.: +49 8161 71-2491
ilona.grunwaldspam prevention@tum.de

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