• 24.9.2021
  • Lesezeit: 3 Min.

Prof. Stefan Wurster über die Pläne der Wahlprogramme zu Künstlicher Intelligenz

„Parteien vernachlässigen bei KI die Gesellschaftspolitik“

Künstliche Intelligenz wird künftig nahezu sämtliche Lebensbereiche beeinflussen. Welche politischen Weichenstellungen für den Einsatz der Technologien sind in den nächsten vier Jahren in Deutschland zu erwarten? Ein Team um Prof. Stefan Wurster hat die Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien untersucht. Im Interview erklärt der Politikwissenschaftler, welche Parteien eher Chancen oder eher Risiken sehen und bei welchen Themen die Programme bedeutende Leerstellen lassen.

Blick in den Plenarsaal des Deutschen Bundestags. Simone M. Neumann / Deutscher Bundestag
Der Bundestag könnte in den nächsten Jahren wichtige Weichen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz stellen.

Welche Fragen zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz thematisieren die Parteien?

Am häufigsten beschäftigen sich die Wahlprogramme in den Kapiteln zu Wirtschaft, Außenpolitik sowie Bildung und Forschung mit KI. Zumeist geht es um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Deutschland und Europa. Ebenso oft wird eine bessere internationale Zusammenarbeit zu KI-Fragen angesprochen, wie auch die Frage, ob Künstliche Intelligenz militärisch eingesetzt werden sollte. Zudem ist die Forschungsförderung ein größeres Thema. Insgesamt überwiegen positive Deutungsmuster gegenüber neutralen oder negativ konnotierten Aussagen. Dabei bleiben die vorgeschlagenen Maßnahmen allerdings oft recht unkonkret und erschöpfen sich in klassischen Instrumenten wie öffentlichen Investitionen oder staatlicher Regulierung, beispielsweise von automatisierter Gesichtserkennung zur Kriminalitätsbekämpfung.

Wie unterscheiden sich die Parteien?

FDP und Grüne betonen am stärksten positive Aspekte von Künstlicher Intelligenz, wogegen bei der SPD und insbesondere bei der Linken die Herausforderungen und möglichen Gefahren von KI-basierten Technologien dominieren. Die Union zeigt sich eher neutral eingestellt, mit einer Tendenz zu einer positiven Beurteilung. Die AfD ist aufgrund der geringen Zahl an Aussagen schwer zu bewerten. Staatliche Investitionen in KI-basierte Technologien fordern vor allem CDU/CSU, Freie Demokraten und Grüne, staatliche Regulierung spielt bei der Linken und auch bei der SPD die größte Rolle, was natürlich Sinn macht vor dem Hintergrund, dass Letztere stärker die gesellschaftspolitischen Risiken hervorheben. Bei einigen Themenfeldern zeigen sich auch klare Parteidifferenzen; zum Beispiel betont die CDU/CSU, dass die Bundeswehr autonome und KI-basierte Waffensysteme benötigt, tritt zugleich aber für die internationale Ächtung selbiger Systeme ein. SPD, Linke und Grüne schließen eine solche Nutzung insgesamt aus. Ähnlich sieht es auch bei anderen Themen aus, wie etwa bei der Abwägung des Rechts auf Privatsphäre gegenüber dem Einsatz von KI-gestützter Überwachung.

Wie beurteilen Sie das politische Angebot angesichts der Bedeutung des Themas?

Bedeutsam ist, was in den Programmen nicht angesprochen wird, sowohl thematisch als auch an Maßnahmen. Wichtige Fragen wie der Einsatz KI-basierter Technologien im Gesundheitsbereich, die Folgen für die Arbeitswelt oder der Schutz der Einzelnen vor diskriminierenden Algorithmen werden mit einigen wenigen Ausnahmen nur nachrangig behandelt. Komplexere Politikinstrumente zur Steuerung der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, etwa der Aufbau von Formaten und Institutionen, die verschiedene gesellschaftliche Akteure zusammenbringen, oder mit Blick auf mehr Aufklärung über KI fehlen ebenso. Dabei deutet sich an, dass sich die politische Debatte entlang bekannter Konfliktlinien bewegt, vor allem staatliche Regulierung versus Marktfreiheit. Überraschend war dann aber doch, dass so große Leerstellen bei einer der wichtigsten Dimensionen des Themas KI bestehen: der gesellschaftspolitischen Gestaltung.

Zum Studienteam:

Stefan Wurster ist Professor für Policy Analysis an der Hochschule für Politik an der TUM. Schwerpunkt seiner Forschung sind vergleichende Analysen in Politikfeldern mit Nachhaltigkeitsbezug, beispielsweise die Regulierung von Energiemärkten und die Technologie-, Innovations- und Forschungspolitik.

Die Untersuchung hat er mit Dr. Markus Siewert und Benedikte Eiden von der TUM sowie Dr. Pascal D. König von der TU Kaiserslautern erstellt. Siewert arbeitet unter anderem zu Fragen des parteipolitischen Wettbewerbs über Digitalisierung sowie der verantwortungsvollen Steuerung von Künstlicher Intelligenz in Politik und Gesellschaft. Eiden studiert Politikwissenschaft, wobei ihr besonderes Interesse der Datenanalyse und Big Data gilt. Königs Forschungsschwerpunkt liegt auf den sozialen und politischen Folgen des digitalen Wandels, insbesondere der datengestützten Wertschöpfung und algorithmischer Entscheidungssysteme.

Publikationen

Markus B. Siewert, Benedikte Eiden, Stefan Wurster und Pascal D. König 2021: Wer hat den Schlüssel zur Schlüsseltechnologie? Ein Vergleich der Parteiprofile im Themenfeld Künstliche Intelligenz vor der Bundestagswahl 2021.

Die Analyse ist auch in der Zeitschrift Politik & Kommunikation erschienen.

Weitere Informationen und Links

Die Hochschule für Politik München (HfP) erforscht und lehrt die Wechselwirkung von Politik und Technologie, die heute in nahezu allen Politikfeldern eine entscheidende Rolle spielt. Mit dieser außergewöhnlichen Ausrichtung von Forschung und Ausbildung leistet sie einen bedeutenden Beitrag, den gesellschaftlichen Wandel durch die rasante technologische Entwicklung zu verstehen und zu gestalten. Trägerin der HfP ist die Technische Universität München mit der korrespondierend arbeitenden TUM School of Governance.

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Kontakte zum Artikel:

Prof. Stefan Wurster
Technische Universität München / Hochschule für Politik München
Professur für Policy Analysis
Tel.: +49 89 907793 250
stefan.wurster@hfp.tum.de

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