Die neue Anleihe-Form „CoCo-Bonds“ kann Finanzkrisen verschlimmern
Wenn Aktionäre die Krise der eigenen Bank verschärfen
Eine Lehre, die Politik und Finanzaufsicht aus der Finanzmarktkrise gezogen haben, lautet: Banken müssen mehr Eigenkapital vorhalten. Doch den Geldhäusern fällt es nicht leicht, ihr Kernkapital, also dauerhaft zur Verfügung stehendes Eigenkapital, zu erhöhen. Seit 2009 setzen europäische Banken deshalb vermehrt ein Instrument ein, mit dem sie in Notzeiten aus Fremdkapital Eigenkapital machen können: Contingent Convertible Bonds, kurz CoCo-Bonds. Dabei handelt es sich um Anleihen, die eine Bank zu einem festen Zinssatz ausgibt – so wie bei Unternehmensanleihen üblich. Das Besondere: Unterschreitet die Bank einen festgelegten Wert ihrer Kernkapitalquote, zumeist 7 Prozent, wird die Anleihe in Eigenkapital der Bank umgewandelt. Das heißt, die Gläubiger müssen ihre Anteile zwangsweise in Aktien der Bank umwandeln lassen oder auf ihre Ansprüche sogar ganz verzichten – noch ist dieser Fall allerdings nicht eingetreten.
Banken nutzen dieses Instrument, da es ihnen in der Regel leichter fällt, Anleihen erfolgreich auf den Markt zu bringen als Aktien, und dies zudem steuerliche Vorteile hat. Für Investoren sind CoCo-Bonds interessant, weil sie höhere Zinsen bieten als andere Unternehmensanleihen. Politiker und Aufseher begrüßen, dass bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten einer Bank auch deren Gläubiger zur Kapitalbildung herangezogen werden (ein sogenannter Bail-in) und nicht gleich die Steuerzahler. Verschiedene europäische Staaten und die Europäische Zentralbank haben CoCo-Bonds deshalb als Eigenmittel der Banken anerkannt.
Gläubiger verlieren in den meisten Fällen
Doch würden CoCo-Bonds in einer Krise tatsächlich zur Stabilisierung des Bankensystems beitragen? Die Ökonomen Prof. Christoph Kaserer von der TU München und Prof. Tobias Berg von der Universität Bonn haben in einer modelltheoretischen Untersuchung die Wirkung der „bedingt wandelbaren“ Anleihen analysiert. Dabei haben sie abweichend von Standard-Strukturmodellen die spezifischen Bedingungen, unter denen die Bonds gehandelt werden, einbezogen. Darüber hinaus haben sie empirisch die Vertragsgestaltung und Preisentwicklung bereits ausgegebener CoCo-Bonds untersucht.
Sie stellten fest, dass bei rund der Hälfte der CoCo-Bonds ein sogenannter „Write down“-Mechanismus festgeschrieben ist: Würde die festgelegte kritische Kernkapitalquote unterschritten, würde die Anleihe nicht in Aktien umgewandelt, sondern die Gläubiger verlören ihre Ansprüche. In den meisten anderen Fällen würden die Bonds zu einem für die Gläubiger ungünstigen Verhältnis umgewandelt: Die Anleger würden zwar Aktien erhalten, deren Gesamtwert aber niedriger läge als der Gesamtwert ihrer Anleihen. „So müsste zuerst eine ganz bestimmte Gläubigergruppe bluten“, sagt Prof. Christoph Kaserer vom Lehrstuhl für Finanzmanagement und Kapitalmärkte der TUM. „Wir nennen diese CoCo-Bonds ,Convert to steal’“.
Aktionäre profitieren, wenn es ihrer Bank vorübergehend schlechter geht
Kaserer und Berg zeigen im Modell, dass diese Konstruktion nicht nur für die Anleger (absehbare) Gefahren birgt, sondern auch Anreize schafft, die eine Krise noch verschlimmern können: Gerät eine Bank in Schwierigkeiten, hat sie einen Beweggrund, ihre Lage selbst weiter zuzuspitzen – nämlich bis die Umwandlung der CoCo-Bonds ausgelöst wird und die Bank so einen Teil ihrer Schulden los wird. „Damit könnte die Existenz von CoCo-Bonds krisenverschärfend wirken, weil die Eigentümer davon profitieren, wenn es der Bank, zumindest vorübergehend, noch schlechter geht“, sagt Tobias Berg, Juniorprofessor für Finanzwirtschaft der Universität Bonn.
Einen Zusammenhang zwischen dem Risikoprofil einer Bank und der Konstruktion ihrer CoCo-Bonds konnten die Ökonomen auch empirisch am Beispiel der britischen Lloyds Banking Group zeigen: Verschlechterte sich der Lage der Bank, sank der Marktwert ihrer „Convert to steal“-Bonds stärker als es angesichts der sonstigen Eigenschaften als Anleihe zu erwarten gewesen wäre. „Wenn die Aktionäre wissen, dass im Krisenfall Verluste auf die CoCo-Bond-Gläubiger verschoben werden, spiegelt sich das bei der Bewertung der Bonds wider“, erklärt Kaserer.
„Finanzaufsicht sollte auf sinnvolle Konstruktion achten“
Den umgekehrten Effekt zeigt die Modelluntersuchung, wenn die CoCo-Bonds zum Marktwert getauscht, die Gläubiger also größeren Mengen Aktien erhalten würden. „Mit einem Schlag gäbe es eine Gruppe neuer Aktionäre mit wesentlichen Aktienpaketen. Deshalb würden die Altaktionäre alles unternehmen, dass dieser Fall nicht eintritt, sprich die festgelegte Kernkapitalquote nicht unterschritten wird“, sagt Berg. „Diese Konstruktion, die wir ,Convert to surrender’ nennen, hätte also eine stabilisierende Wirkung auf das Bakensystem.“
Bislang sind hauptsächlich europäische Banken – vor allem große Institute in Großbritannien, Spanien und der Schweiz – in das Geschäft eingestiegen und haben CoCo-Bonds mit einem Gesamtvolumen von rund 50 Milliarden Euro ausgegeben. Deutsche Banken hatten sich aufgrund steuerlicher Unsicherheiten zurückgehalten. Nachdem das Finanzministerium die offenen Fragen geklärt hat, beginnen jetzt auch sie CoCo-Bonds auszugeben.
Bei der Beurteilung künftiger CoCo-Bonds sollte die Finanzaufsicht die Erkenntnisse der Studie beachten, empfiehlt Christoph Kaserer. Die Banken sollten die Bonds nur dann als Eigenkapital anrechnen dürfen, wenn es keinen „Convert to steal“-Mechanismus gibt. „CoCo-Bonds sind eine sinnvolle Möglichkeit für die Banken, ihre Kapitalausstattung zu verbessern“, sagt Kaserer. „Zur Stabilisierung des Bankensystems tragen sie aber nur dann bei, wenn sie richtig konstruiert sind.“
Publikation:
Tobias Berg, Christoph Kaserer, Does Contingent Capital Induce Excessive Risk-Taking?, Journal of Financial Intermediation, 2014 (accepted), doi: 10.1016/j.jfi.2014.11.002
Working Paper: http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1709341
Kontakt:
Prof. Dr. Christoph Kaserer
Technische Universität München
Lehrstuhl für Finanzmanagement und Kapitalmärkte
Tel: +49 89 289 25490
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