• 14.9.2021
  • Lesezeit: 1 Min.

Erstmals Unterschiede im Fettstoffwechsel von Darmkrebszellen belegt

Molekulare Achillesferse von Krebszellen entdeckt

Woher zieht ein bösartiger Tumor die Energie, um immer weiter zu wachsen? Das ist eine zentrale Frage der Krebsforschung. Kennt man die Energiequelle, könnte man den Tumor „aushungern“. Die Grundlagen dafür haben Forscherinnen und Forscher jetzt gelegt: Sie lieferten erstmals Belege dafür, dass sich der Fettstoffwechsel in gesunden Zellen der Darmschleimhaut und Darmkrebszellen grundlegend unterscheidet. Daraus könnten sich neuartige Therapiemöglichkeiten ergeben, die direkt im veränderten Stoffwechsel des Tumors ansetzen.

Darmkrebs Fettstoffwechsel W. Filser / TUM
Per Massenspektrometrie wurden im Rahmen der Studie die Gewebeproben von 144 Patientinnen und Patienten mit Darmkrebs analysiert.

Auch bisher deuteten einige Messungen darauf hin, dass sich der Fettstoffwechsel in gesunden Zellen und Krebszellen deutlich unterscheidet. Allerdings waren die Ergebnisse dieser Arbeiten sehr inkonsistent. Einige der Untersuchungen schienen solche Unterschiede zu belegen, andere ergaben ein gegenteiliges Ergebnis. „Diese Frage war bislang sehr umstritten“, sagt Prof. Klaus-Peter Janssen, Biologe am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM).

Um Klarheit zu schaffen, entnahmen Chirurginnen und Chirurgen am Klinikum rechts der Isar Gewebeproben aus operativ entfernten Tumoren von insgesamt 144 an Darmkrebs erkrankten Personen. Die Gewebeproben wurden vor Ort umgehend aufbereitet und anschließend am Institute for Food & Health (ZIEL) in Freising sowie an der Universitätsklinik Regensburg per „Massenspektrometrie“ analysiert. Das ist ein biochemisches Verfahren, mit dem sich nach spezieller Vorbereitung Art und Masse bestimmter Moleküle in einem Gewebe quantitativ bestimmen lassen – in diesem Fall von rund 200 verschiedenen Lipiden.

Um zu belegen, dass die Messergebnisse keine Zufallsbefunde, sondern reproduzierbar sind, wurden die Patientinnen und Patienten zwei Gruppen („Kohorten“) zugeteilt und die entnommenen Gewebeproben separat analysiert, um die Ergebnisse anschließend miteinander zu vergleichen. Ergänzend wurden Analysen von Gewebeproben einer weiteren Gruppe von 20 Darmkrebs-Patientinnen und -Patienten verglichen, die an der Universität Dresden unabhängig davon untersucht worden waren.

Wie ein „Fingerabdruck“: Spezifische Lipid-Signatur von Darmkrebszellen belegt

So konnten die Forscherinnen und Forscher in allen drei Kohorten den Beleg dafür liefern, dass „Darmkrebszellen tatsächlich eine spezifische Lipid-Signatur haben“, sagt Janssen, dass sie also ein bestimmtes Muster verschiedener Lipid-Moleküle aufweisen – „gewissermaßen ein Fingerabdruck, mit dem sich sehr zuverlässig Krebszellen von normalen Zellen unterscheiden lassen. Diese Signatur hat auch prognostische Bedeutung, erlaubt also Aussagen über den Krankheitsverlauf.“

Die Veränderungen im „Lipidom“, der Gesamtheit der Lipide in einer Zelle, betraf dabei hauptsächlich sogenannte Sphingolipide und Glycerolipide. Diese Unterschiede spiegelten sich auch auf genomischer Ebene wieder: So konnte das Team nachweisen, dass die Aktivität bestimmter Gene, die den Bauplan für verschiedene Enzyme liefern, ebenfalls stark verändert war. Enzyme sind funktionelle Eiweiße, die unter anderem wichtig für die Herstellung von Stoffwechselprodukten wie Lipiden sind. Genau hier könnte man ansetzen, um Krebszellen die Energiezufuhr abzuschneiden und so ihr Wachstum zu bremsen – indem man Wirkstoffe findet, die gezielt einzelne dieser Enzyme aktivieren oder hemmen, um so den Krebs medikamentös auszuhungern.

Enge Kooperation entscheidend für Forschungserfolg

„Lipide in Gewebeproben sind besonders sensible Moleküle, die sich zum Teil rasch verändern und leicht zerfallen“, erklärt Janssen. Wird entnommenes Tumorgewebe daher nicht sofort nach der Entnahme schockgefroren, fachgerecht weiterverarbeitet und gelagert, ist ein Teil der besonders empfindlichen Lipide bereits zerstört und das Ergebnis der Analyse somit verfälscht.

Genau das könnte möglicherweise ein Grund für die Inkonsistenz bisheriger Studien gewesen sein: Nicht überall ist so eine enge Zusammenarbeit gewährleistet. Dass eine Lagerung von Gewebeproben unter nicht optimalen Bedingungen und über längere Zeit das Lipid-Muster verändert, konnten Janssen und sein Team in ihrer aktuellen Arbeit ebenfalls klar belegen. Sie konnten zeigen, dass manche Lipide in Gewebeproben stabil bleiben, somit gut als „Biomarker“ geeignet sind, andere dagegen rasch abgebaut werden, zum Teil bereits eine Stunde nach der Operation völlig verändert sind.

Stichwort „Lipidomics“ – ein neues Forschungsfeld

Der Stoffwechsel gesunder und kranker Zellen unterscheidet sich – und damit auch die Art und Menge der darin entstehenden Moleküle wie Zucker, Eiweiße (Proteine) und Lipide, also fettartige Moleküle. Die Lipide sind wichtig für die Energiegewinnung und Speicherung einer Zelle, aber auch als zentrale Bestandteile von Zellmembranen oder als Signalmoleküle.

Von der Gesamtheit aller Lipide einer Zelle, - dem Lipidom, leitet sich der Begriff „Lipidomics“ ab – „ein ganz neues Feld der Forschung“. Darin geht es darum, das „Lipidom“ verschiedener Zellen miteinander zu vergleichen – und aus Unterschieden sowie Veränderungen Rückschlüsse zu ziehen: Wie unterscheidet sich also zum Beispiel das Lipid-Muster einer Darmkrebszelle im Vergleich zu einer gesunden Zelle der Darmschleimhaut? Gibt es womöglich Veränderungen, die typisch für Krebszellen sind – und lässt sich dieses Wissen nutzen, um gezielt neue Wirkstoffe zu entwickeln?

„Lipidomics“ ist ein Teilbereich der bekannteren „Metabolomics“. Dieser Fachbereich schließt alle Stoffwechselprodukte einer Zelle mit ein, das „Metabolom“ also. Der Fokus vieler Arbeitsgruppen lag bislang meist auf Zuckern, Nukleinsäuren (DNA, RNA) und Eiweißen, die sich leichter analysieren lassen. Lipide sind nicht nur sensitiver. „Sie waren auch mit den gängigen Methoden lange Zeit nur schlecht und sehr aufwendig messbar“, sagt Janssen. „Erst seit sich das geändert hat, sind sie ins Zentrum gerückt.“

Publikationen

Josef Ecker, Elisa Benedetti, Alida S.D. Kindt, Marcus Höring, Markus Perl, Andrea Christel Machmüller, Anna Sichler, Johannes Plagge, Yuting Wang, Sebastian Zeissig, Andrej Shevchenko, Ralph Burkhardt, Jan Krumsiek, Gerhard Liebisch, Klaus-Peter Janssen: The Colorectal Cancer Lipidome: Identification of a Robust Tumor-Specific Lipid Species Signature, Gastroenterology, Volume 161, Issue 3 (2021).

Weitere Informationen und Links

An dem Forschungsprojekt waren neben Forschenden des Klinikums rechts der Isar und des Institute for Food & Health (ZIEL) der TUM Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Regensburg, der Technischen Universität Dresden, der Leiden University (NL) und des Weill Cornell College in New York beteiligt.

Technische Universität München

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Kontakte zum Artikel:

Prof. Dr. rer. nat. Klaus-Peter Janssen
Technische Universität München
Klinikum rechts der Isar
Klinik und Poliklinik für Chirurgie
Tel.: +49-(0)89-4140-2066
klaus-peter.janssenspam prevention@lrz.tum.de

 

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