• 3.9.2019
  • Lesezeit: 9 Min.

ERC Starting Grants: Sieben Projekte aus Chemie, Medizin und Physik erfolgreich

Hochdotierte EU-Förderung für Spitzenforschung an der TUM

Der Europäische Forschungsrat (ERC) hat entschieden: Sieben der hochdotierten ERC Starting Grants gehen dieses Jahr an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM). Die Bandbreite der Projekte reicht von neuen Krebs-Immuntherapien bis hin zu atomgenauen Analyse von katalytischen Reaktionen. Zudem fördert der ERC drei weitere Projekte mit Proof-of-Concept Grants.

Grafische Umsetzung eines Katalysators Barbara Lechner / TUM
In ihrem Projekt beobachtet Dr. Barbara Lechner Katalysevorgänge atomgenau: Die grün-orangen Spitzen stehen für Platin-Cluster mit jeweils 20 Atomen auf einer flachen Eisenoxidoberfläche. Dieses und sechs weitere Projekte werden künftig mit Starting Grants des ERC gefördert.

Jedes Jahr fördert der Europäische Forschungsrat zukunftsweisende Forschungsprojekte mit den renommierten ERC Grants. Diese werden in verschiedenen Kategorien vergeben. Starting Grants richten sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen. Sie sind mit bis zu 1,5 Millionen Euro dotiert.

Zusätzlich zu den sieben Starting Grants werden drei Projekte aus der TUM mit sogenannten Proof-of-Concept Grants gefördert. Diese werden an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben, die prüfen wollen, ob aus ihren ERC-Forschungsprojekten marktfähige Innovationen entstehen können. Als unternehmerische Universität legt die TUM auf diesen Aspekt der Forschung großen Wert und fördert gezielt Firmengründungen durch Forschende und Studierende. Durch die Starting und Proof-of-Concept Grants steigt die Zahl der ERC Grants von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der TUM auf 117.

PD Dr. Jennifer Altomonte (Medizin)

Immuntherapien sind ein vielversprechender Ansatz für die Behandlung von Krebs. Bislang waren sie jedoch vor allem bei Blutkrebs erfolgreich. Privatdozentin Dr. Jennifer Altomonte möchte in ihrem Projekt ONCO-VAX wirkungsvolle Immuntherapien gegen Leberzellkarzinome entwickeln. Diese sind besonders widerstandsfähig gegen Angriffe durch das Immunsystem. Virenbasierte Immuntherapien nutzen Viren, die so verändert wurden, dass sie keine Krankheiten verursachen, aber im Körper molekulare Prozesse auslösen. Jennifer Altomonte und ihr Team haben ein sogenanntes chimärisches Virus entwickelt, das die Vorteile zweier Virentypen nutzt. Es infiziert ausschließlich Tumorzellen und löst ihren Tod durch eine wirksame Zell-Zell Fusionsreaktion aus. Altomonte will dieses Virus als Grundlage für einen neuartigen Impfstoff gegen Leberkrebs nutzen, der das körpereigene Immunsystem nutzen soll, um einen breiten und wirksames Therapeutikum zu entwickeln.

PD Dr. Jennifer Altomonte leitet eine Forschungsgruppe an der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II des Klinikums rechts der Isar der TUM.

Prof. Dr. Job Boekhoven (Chemie)

Aktive Tröpfchen sind winzige Tropfen in Wasser, die aus unlöslichen Molekülen bestehen. Aufgrund ihrer aktiven Natur zeigen diese Tröpfchen ein lebensähnliches Verhalten. Die Tröpfchen bilden sich zum Beispiel nur bei externer Energiezufuhr und lösen sich wieder auf, wenn die Energie nicht mehr ausreicht. Sie können sich sogar durch Teilung vermehren, wenn reichlich Energie vorhanden ist. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Funktion bestimmter Organellen in den Zellen unseres Körpers. In seinem Projekt ActiDrops wird Prof. Job Boekhoven erstmals synthetische aktive Tröpfchen produzieren. Mit diesen Tröpfchen wird er Phänomene erforschen, die bisher nur mit Hilfe von Modellen vorhergesagt wurden, wie beispielsweise kollektives Verhalten von Tröpfchen. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten mehr darüber verraten, wie das Leben auf der Erde entstanden ist, und den Weg zu synthetischem Leben ebnen.

Job Boekhoven ist Professor für Supramolekulare Chemie.

Dr. Felix Deschler (Physik)

Hybride Perowskite sind Halbleiter, die sowohl organische als auch anorganische Bestandteile haben. Sie sind unter anderem als hocheffiziente Materialien für zukünftige Solarzellen und LEDs interessant, da sie sehr effektiv Licht in Strom umwandeln können, einfach in der Herstellung und darüber hinaus erstaunlich defekttolerant sind. Dr. Felix Deschler will in seinem Projekt TWIST nun neue hybride Perowskit-Materialien entwickeln, die eine Doppelfunktion haben. Sie sollen zum einen stark leuchtende Halbleiter mit gut kontrollierbaren Eigenschaften sein. Zum anderen soll erreicht werden, den Spin der Ladungsträger gezielt zu beeinflussen. Bislang gibt es keine effektiven Halbleiter, die beide Eigenschaften haben. Mit den Perowskiten, die Deschler erzeugen will, ließen sich beispielsweise LEDs herstellen, die zirkular polarisiertes Licht abstrahlen. Diese könnten in spiegelungsfreien und besonders sparsamen Displays und in Bauteilen der Spintronik zum Einsatz kommen.

Dr. Felix Deschler leitet eine Emmy-Noether-Forschungsgruppe am Walter-Schottky-Institut der TUM.

Prof. Dr. Michael Knap (Physik)

Klassische Prozessoren stoßen heute teilweise an ihre Grenzen. Viel Hoffnung wird deshalb in Quantencomputer gesetzt, die besser mit vielen Problemen umgehen können – so zumindest die Theorie. Allerdings sind nach wie vor viele Grundlagen der Quantenmaterialien unbekannt, die in solchen Rechnern zum Einsatz kommen sollen. Mit bestimmten Eigenschaften solcher Systeme beschäftigt sich Prof. Michael Knap in seinem Projekt CosQuanDyn. Im Zentrum seiner Forschungsarbeit stehen sogenannte bedingte Quantensysteme („constrained quantum systems“), die weit von ihrem thermischen Gleichgewicht entfernt sind. Die Bedingung besteht darin, dass die Quantenteilchen in diesen Systemen nur bestimmte Konfigurationen einnehmen können und andere „verboten“ sind.  Neue Materialien mit solchen Eigenschaften könnten in Zukunft genutzt werden um Qubits, die Rechenbausteine des Quantencomputers, praktisch umzusetzen. Michael Knap will diese Systeme auf theoretischer Ebene untersuchen und so die Grundlagen für zukünftige Experimente schaffen.

Michael Knap ist Professor für Kollektive Quantendynamik.

Dr. Barbara Lechner (Chemie)

Obwohl wir es nicht sehen, sind nicht nur Gase und Flüssigkeiten, sondern auch Feststoffe ständig in Bewegung. Im Falle von Katalysatoren, die in der chemischen Industrie unverzichtbar sind, können strukturelle und chemische Veränderungen die Funktion maßgeblich beeinflussen. Dr. Barbara Lechner will in ihrem Projekt TACCAMA die dynamische Restrukturierung von Modell-Katalysatoren aufs Atom genau untersuchen. Hierzu setzt sie ein zeitlich und räumlich hochauflösendes Rastertunnelmikroskop direkt in reaktive Gasmischungen. So lässt sich unter Reaktionsbedingungen erforschen, wie sich die Struktur von Katalysatorpartikeln und Trägermaterial ändert. Durch die Verwendung von kleinen Clustern mit einer präzise definierten Atom-Anzahl wird untersucht, wie das Entstehen und Vergehen hochreaktiver Partikelstrukturen abläuft, gesteuert werden kann und die Funktion des Katalysators beeinflusst. Mit diesem Wissen könnte man in Zukunft etwa günstigere Alternativen zu den heute verbreiteten Edelmetallkatalysatoren finden.

Dr. Barbara Lechner leitet eine Nachwuchsforschungsgruppe am Lehrstuhl für Physikalische Chemie.

Prof. Dr. Susanne Mertens (Physik)

Neben den bekannten „aktiven“ Neutrinos, die mit anderer Materie wechselwirken, könnte es auch „sterile“ Neutrinos geben. Sie wären schwerer und ihre Wechselwirkung mit anderen Teilchen viel schwächer. In ihrem Projekt SENSE will Prof. Susanne Mertens diese bislang nur hypothetischen Teilchen suchen. Ihr wichtigstes Werkzeug ist das KATRIN-Experiment, in dem beim Zerfall von Tritium Elektronen und Neutrinos freigesetzt werden – darunter könnten auch die sterilen Neutrinos sein. Durch einen Nachweis könnte das Rätsel um Dunkle Materie gelöst werden, die 25 Prozent des Universums ausmacht. Sterile Neutrinos sind aussichtsreiche Kandidaten für diese Dunkle Materie.

Als Wissenschaftlerin im Programm „MaxPlanck@TUM“ ist Susanne Mertens Professorin für Dark Matter an der TUM und leitet parallel dazu eine Forschungsgruppe für Experimentelle Neutrinophysik am Max-Planck-Institut für Physik. Durch das Programm bekommen exzellente junge Forscherinnen und Forscher zugleich herausragende Forschungsmöglichkeiten und eine klare Karriereperspektive im Tenure-Track-System der TUM.

PD Dr. Veit Rothhammer (Medizin)

Bei Multipler Sklerose (MS) attackiert das Immunsystem Gehirn und Rückenmark. Die Schäden sind häufig unumkehrbar, wobei bestimmte Zellen im Nervensystem, die Astrozyten, grundsätzlich in der Lage sind, eine Regeneration herbeizuführen. Aus bislang unbekannten Gründen tun sie das jedoch insbesondere in Spätphasen der MS nur sehr eingeschränkt. In seinem Projekt „HB-EGF in CNS inflammation“ will Privatdozent Dr. Rothhammer die Ursachen dafür untersuchen. Sein Ansatzpunkt ist das Protein HB-EGF, das von Astrozyten produziert wird und offenbar Einfluss auf deren regenerative Funktion hat. Veit Rothhammer will klären, wie die Sekretion von HB-EGF im Verlauf der MS gesteuert wird und herausfinden, ob das Protein als neuer Therapieansatz geeignet ist. In einem weiteren Schritt wird er anhand von Gewebeproben von MS-Patientinnen und Patienten den Nutzen von HB-EGF als Biomarker für MS testen, durch den Prognosen über den Krankheitsverlauf möglich werden könnten.

PD Dr. Veit Rothhammer leitet die Arbeitsgruppe Experimentelle Gliabiologie am Neuro-Kopf-Zentrum des Klinikums rechts der Isar der TUM.

Proof-of-Concept Grant: Prof. Dr. Daniel Cremers (Informatik)

Daniel Cremers forscht auf dem Gebiet der mathematischen Bildverarbeitung und Mustererkennung. Mit dem Proof-of-Concept Grant “Simultaneous Localization & Mapping for Augmented Reality” wird er die Technologie weiterentwickeln, an der er bereits im Projekt „3D Reloaded“ geforscht hat: Algorithmen, mit denen sich die reale Welt anhand zweidimensionaler Videos in Echtzeit dreidimensional nachbilden lässt. Diese will Cremers nun auch fürs Smartphone entwickeln. Damit könnten Menschen sich in Umgebungen zurechtfinden, in denen es kein GPS gibt – etwa könnten sie sich zum richtigen Ausgang in einem U-Bahnhof oder zu einem speziellen Ausstellungsstück in einem Museum navigieren. Die Weiterentwicklung der Augmented-Reality-Anwendungen soll es zudem ermöglichen, Objekte künstlich zu dem in 3D konstruierten Abbild der Wirklichkeit hinzuzufügen. Damit könnte chirurgisches Personal beispielsweise neue Operationen üben oder Kunden von Online-Möbelhäusern könnten virtuelle Kopien von Sofas in ihrem Wohnzimmer platzieren.

Daniel Cremers ist Professor für Bildverarbeitung und Künstliche Intelligenz an der TUM. Für seine Forschung erhielt er 2009 einen Starting Grant und 2014 einen Consolidator Grant des ERC.

Proof-of-Concept Grant: Prof. Dr. Dimitrios Karampinos (Medizin)

Berechnungen zufolge wird 2030 die Hälfte der Menschheit übergewichtig sein. Da Adipositas schwere Folgen wie Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen haben kann, wird weltweit daran geforscht, Fettleibigkeit zu bekämpfen und Betroffene zu einem gesünderen Lebensstil zu bewegen. Prof. Dimitrios Karampinos hat, gefördert durch den ERC, ein MRT-Verfahren entwickelt, mit dem sich die Mikrostruktur von Fettgewebe non-invasiv untersuchen lässt. In seinem Proof-of-Concept-Projekt FatVirtualBiopsy will er diese Technologie für eine breitere klinische Verwendung durch Ärztinnen und Ärzte und Spezialisten weiterentwickeln. Mit Karampinos' Technologie lässt sich die Größe der fettspeichernden Vakuolen in Zellen direkt, schmerzfrei und in Echtzeit visualisieren. Dies könnte Teil zukünftiger Adipositas-Präventionsprogramme werden und helfen, den Erfolg von Therapien und Interventionen zu bewerten.

Dimitrios Karampinos ist Professor für Experimentelle Magnetresonanztomographie. Das Proof-of-Concept-Projekt baut auf seinem ERC Starting Grant Projekt ProFatMRI auf.

Proof-of-Concept Grant: Prof. Dr. Stephan Sieber (Chemie)

Vitamin B6 ist ein wichtiger Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung. Bestimmte Bevölkerungsgruppen – darunter ältere Menschen, Menschen mit Diabetes und Alkoholsüchtige – neigen allerdings zu einem Mangel an diesem Vitamin. Tests mit denen der Vitamin-B6-Pegel überwacht werden kann sind bislang umständlich und ungenau und können nur von medizinischem Fachpersonal mit Laborausrüstung eingesetzt werden. In seinem Proof-of-Concept-Projekt B6VitaStat möchte Prof. Stephan Sieber einen Vitamin-B6-Test entwickeln, der zuverlässig, kostengünstig und einfach in der Anwendung ist. Kern des Tests sind molekulare Sonden, die Sieber in seinem ERC-geförderten Projekt CHEMMINE entwickelt hat. Mit ihnen lässt sich ein Mangel an Vitamin B6 anhand einer Blutprobe darstellen. Das Testkit soll so robust sein, dass es auch für den Einsatz in Regionen mit schlechter medizinischer Infrastruktur geeignet ist.

Stephan Sieber ist Inhaber des Lehrstuhls für Organische Chemie II. Seine Forschung wurde unter anderem mit einem Starting Grant und einem Consolidator Grant des ERC gefördert.

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