• 17.12.2019
  • Lesezeit: 3 Min.

Vom Handy-Bild zur statischen Berechnung

Steht das antike Bauwerk noch stabil?

Risse an den Fußgelenken von Michelangelos David-Statue, beschädigte Säulen der Ayatekla-Kirche-Zisterne: Sind diese antiken Werke gefährdet? Forscher und Forscherinnen der Technischen Universität München (TUM) haben ein neues Verfahren entwickelt, das es erlaubt, den mechanischen Zustand von Bauwerken zu beurteilen – anhand von Fotografien.

Mithilfe eines neuen Verfahrens lässt sich der mechanische Zustand von antiken Bauwerken schnell und unkompliziert bestimmen. Hier ein Computermodell der Zisterne der Ayatekla-Basilika. Lehrstuhl für Computation in Engineering / TUM
Mithilfe eines neuen Verfahrens lässt sich der mechanische Zustand von antiken Bauwerken schnell und unkompliziert bestimmen. Das Bild zeigt ein Computermodell der Ayatekla-Basilika-Zisterne.

In den 60er-Jahren brach eine Säule der Zisterne der Ayatekla-Basilika in der Türkei zusammen und musste durch eine Betonsäule ersetzt werden. Auch andere Säulen des antiken Bauwerks sind stark angegriffen. Um beurteilen zu können, ob diese einsturzgefährdet sind, müssen die Experten und Expertinnen wissen, welche internen Kräfte in der Struktur wirken. Aber wie lässt sich das beurteilen, ohne das Bauwerk zu beschädigen?

„Um den Spannungszustand einer Struktur zu berechnen, wird in der Ingenieurpraxis sehr oft die Methode der Finiten Elemente verwendet“, erklärt Dr. Stefan Kollmannsberger vom TUM-Lehrstuhl für Computation in Engineering. „Bevor zum Beispiel eine Brücke gebaut wird, muss bekannt sein, ob sie den Belastungen des Verkehrs standhält. Es muss nachgewiesen werden, dass sowohl die zu erwartenden Verformungen als auch die Belastung des Materials unter vorgegebenen Grenzen liegen.“ 

Mithilfe von Handybildern Punktwolken erstellen

Für das Bauwerk als Ganzes ist diese Berechnung des physikalischen Verhaltens aufgrund seiner komplexen Geometrie nicht ohne weiteres möglich. Das Modell wird daher in die sogenannten finiten Elemente unterteilt, die jeweils eine einfache Geometrie besitzen. Für jedes dieser Elemente kann dann mit Hilfe bestimmter Annahmen über das Materialverhalten und möglicher Verformungszustände dessen Widerstand bei unterschiedlichsten Kräfteeinwirkungen berechnet werden. „Werden die Elemente wieder zusammenfügt, kann das Verhalten der ganzen Struktur beurteilt werden“, erklärt Kollmannsberger.

Während aber die Geometrie der Brücke aufgrund der Baupläne bereits bekannt ist, muss sie für die antiken Bauwerke erst bestimmt werden. Möglich ist dies zum Beispiel durch einen Laserscan. Dieser kann Punkte des Bauwerks im Raum lokalisieren. Es entsteht eine sogenannte Punktwolke. Aber auch mithilfe von Handyfotos können Punktwolken erstellt werden.

Dazu genügen Bilder eines Objektes aus mehreren verschiedenen Blickwinkeln. Sind die Position der Kamera sowie die Brennweite des Objektivs bekannt, können die Pixel in den unterschiedlichen Bildern miteinander in Bezug gesetzt werden. So werden im Computermodell dann die Punkte auf der Oberfläche des Objekts im Raum errechnet.

Präzise Ergebnisse mit vereinfachtem Verfahren

Die klassische Vorgehensweise ist es nun, aus der Punktwolke das ungefähre Volumen des Bauwerks zu bestimmen und auf dieses Volumen die Finite-Elemente-Methode anzuwenden. „Das ist allerdings sehr aufwändig, weil hierfür auf Grundlage der Punktwolke zunächst die Oberfläche rekonstruiert werden muss“, sagt Kollmannsberger. „Im Anschluss muss das Volumen in die Finiten Elemente zerlegt werden.“ Dabei müssen einerseits die Ränder der Elemente mit dem Rand der Struktur übereinstimmen, andererseits müssen die Seiten der geometrischen Strukturen ein bestimmtes Verhältnis zueinander haben, um aussagekräftige Ergebnisse liefern zu können.

„Wir haben uns gefragt, ob man mit den Punktwolken nicht einfach direkt rechnen kann“, erklärt Kollmannsberger. Hierfür nutzen die Forscherinnen und Forscher einen Trick. Sie erweiterten die Finite Elemente Methode so, dass eine punktweise Darstellung des Baukörpers ausreicht. Trotz dieser vereinfachten geometrischen Darstellung bleibt die Genauigkeit des ursprünglichen Verfahrens erhalten. Das neue Verfahren tauften sie Point Cloud Finite Cell Method.

Viel schnellere Berechnung möglich

Mit dem neuen Verfahren ist es ausreichend, für jeden Punkt im Raum zu entscheiden, ob dieser sich innerhalb oder außerhalb der Struktur befindet. Eine Umgebung des Baukörpers kann zunächst ohne Berücksichtigung der genauen Geometrie gleichförmig in Finite Elemente unterteilt werden. Im Anschluss wird berechnet, ob bestimmte Punkte zu dem Baukörper gehören. Diesen Punkten werden die Materialeigenschaften des Bauwerks zugeordnet. Denjenigen Punkten, die nicht im Bauwerk liegen, wird ein sehr weiches Material zugeordnet.

„Es hat sich gezeigt, dass sich das mechanische Verhalten der Struktur mit diesem Verfahren genauso gut wie mit der klassischen Finite Elemente Methode bestimmen lässt“, sagt Kollmannsberger. „Jedoch erlaubt das neue Verfahren eine automatisierbare und vor allem viel schnellere Berechnung. Damit ist eine strukturmechanische Vorhersage für massive und relativ homogene Bauwerke auch mit Hilfe von Drohnenbildern in Reichweite.“

Die Säulen der Ayatekla-Kirche-Zisterne stehen übrigens noch stabil. Allerdings sind im Modell bereits hohe Spannungen zu erkennen.

Publikationen

László Kudela, Stefan Kollmannsberger, Umut Almac, Ernst Rank: „Direct structural analysis of domains defined by point clouds“, Computer Methods in Applied Mechanics and Engineering, Volume 358, 2020,
doi.org/10.1016/j.cma.2019.112581.

Weitere Informationen und Links

Technische Universität München

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Kontakte zum Artikel:

Dr.-Ing. Stefan Kollmannsberger
Lehrstuhl für Computation in Engineering
Technische Universität München
+49-89-289-25021
kollmannsberger@bv.tum.de

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