• 12.6.2014

450.000. Erasmus-Student:

Stefan Zenkel ist begeisterter Europäer

Der 450.000 deutsche Erasmus-Student ist ein TUM’ler: Stefan Zenkel (24) wurde dafür jetzt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgezeichnet. Mit TUMstudinews-Reporterin Verena Pongratz sprach er über seinen Aufenthalt in Schweden, über Gleichberechtigung im Bus und seine Oma.

Stefan Zenkel auf Schiff
Auf dem Schiff: Erasmus-Student Stefan Zenkel zwischen zweien von mehr als 30.000 Inseln in den Stockholmer Schären (Foto: Lena Strothmann)

Warum hast du dich für ein Auslandssemester beworben?

Ich hatte in meinem letzten Bachelor Semester irgendwie das Gefühl, dass ich von München schon alles gesehen habe. Ich wollte mal etwas anderes machen und raus aus dem Alltagstrott des Studiums. Außerdem wollte ich unbedingt eine neue Kultur kennen lernen.

Warum ist deine Wahl auf Stockholm gefallen?

Die skandinavischen Länder haben meine Freundin und mich von Anfang an am meisten interessiert. Sie arbeitet als Erzieherin und hat mich begleitet, um ein Praktikum an der deutschen Schule im Kindergarten zu machen. Ich hatte mich in Norwegen, Schweden, Island und Finnland beworben.

Wie war der Aufenthalt für dich?

Großartig. Ich habe gelernt, was Europa eigentlich bedeutet. Ich war fasziniert davon, von Stockholm nach München zu fliegen, ohne einmal richtig meinen Personalausweis zeigen zu müssen. Ich habe gemerkt, dass alles eins ist. Ein Auslandssemester ist ja oft als reines Party-Semester verschrien. Natürlich macht man sich das Leben etwas leichter als zu Hause. Und man feiert auch das ein oder andere Fest mit. Aber jeder von meinen Kommilitonen ist ganz normal zur Uni gegangen und war in den Vorlesungen. Einige haben, wie ich, sogar zusätzlich ein Praktikum gemacht oder gearbeitet.

Wo hast du dein Praktikum gemacht und wie waren Studium und Organisation in Schweden für dich?

Das Praktikum habe ich bei Austrian Airlines gemacht. Das hatte ich privat organisiert. So konnte ich schon früh neue Leute, das Land und die Kultur kennenlernen. Die Schweden sind wahnsinnig nett und freundlich. Aber es ist leider sehr schwer, richtige und tiefgehende Freundschaften aufzubauen.

Wahrscheinlich dauert es lange, miteinander warm zu werden.

Während man sich in Deutschland auf einen Kaffee trifft und bereits über tiefgründige Themen reden würde, dauert das in Schweden viel länger. Durch das Buddy Programm der Partneruni wurde ich zu vielen schwedischen Festen eingeladen, wie zum Beispiel auf das Lichter Fest und anderen schwedischen und privaten Feiern. Zu so etwas würde man ohne einen gebürtigen Schweden wahrscheinlich gar nicht kommen. Es ermöglicht jedoch tolle Eindrücke der schwedischen Kultur und erweitert den persönlichen Horizont.

Wie wird an der Uni gearbeitet?

Ich fand es klasse, dass das wissenschaftliche Arbeiten - im Vergleich zum Frontalunterricht in Deutschland - viel tiefer ging. Ich hab’ wahnsinnig viele Paper selbst geschrieben und noch mehr gelesen. Kurios waren die Prüfungen. Die Tatsache, dass man in Schweden für eine Prüfung drei bis vier Stunden Zeit hat, war für uns Deutsche sehr ungewohnt. Die meisten Deutschen waren nach ein oder zwei Stunden fertig. Während die Schweden erst einmal gemütlich angefangen haben, ihre Brotzeit auszupacken.  

Ist die schwedische Mentalität also entspannter als unsere?

Ja tatsächlich, es ist alles viel entspannter als bei uns, während trotzdem in der gleichen Wertigkeit gearbeitet wird. Das habe ich wirklich zu schätzen gelernt. Simples Beispiel Busfahren: Keiner hat ein Problem damit, wenn er mal warten muss. Warten muss man in Schweden oft. Zum Beispiel im Supermarkt, weil die Leute an der Kasse erst mal über den neusten Klatsch und Tratsch reden. Es gibt dort einfach nicht diesen künstlichen Stress, den wir uns gerne machen.

Was hast du alles über die Schweden gelernt?

Typisch Schwedisch ist z.B., dass man überall eine Nummer ziehen muss. Weil alle gleichberechtigt sind. Ob in der Apotheke, beim Fahrkartenschalter oder in der Uni. Auf Gleichberechtigung legen die Schweden sehr viel Wert. Da ist mir im Bus was passiert: Ich habe eine Schwedin mit den Worten „Ladies First“ vorgelassen. Das war ein Riesenfehler. Ich musste die komplette Fahrt über Gleichberechtigung diskutieren. Diese Überzeugung der Schweden geht sogar so weit, dass es oft nicht einmal getrennte Toiletten gibt.

Welche Vorteile hatte der Auslandsaufenthalt für dich persönlich?

Endlich konnte ich auf eigenen Beinen stehen und mich um alles selbst kümmern. Beispielsweise eine Wohnung finden. Mein Englisch hat sich enorm verbessert, weil dort alle Kurse auf Englisch gehalten wurden. Am Sprachenzentrum der TUM hatte ich zuvor einen Schwedischkurs gemacht.

Und was hat es dir fürs Studium gebracht?

Ich konnte meinen Master schneller durchziehen. Ich musste jedoch hart darum kämpfen, dass mir alle Prüfungen angerechnet wurden. Außerdem hatte ich dort das interessanteste Fach - Strategic Management - und den besten Professor meiner ganzen Studienzeit.

Hatte der Auslandsaufenthalt auch Nachteile?

Man braucht natürlich wahnsinnig viel Geld. Das Erasmus Geld ist zwar eine Unterstützung. Aber die meisten Studenten wollen zusätzlich reisen und das kostet. Ich bin zum Beispiel nach Lappland gereist. In Stockholm ist außerdem alles viel zu teuer, verglichen mit Deutschland. Vor allem Lebensmittel. Am Ende hat sich trotzdem jeder Cent gelohnt.

Wie kam es dazu, dass du als Nr. 450.000 ausgezeichnet wurdest?

Das DAAD und das Bildungsministerium hatten eine nationale Auftaktveranstaltung für ERAMUS + in Berlin. In ERASMUS + sind alle vier Auslandsprogramme zusammengeführt: Hochschul-, Schul-, Berufs- und Erwachsenenbildung. Von jedem Programm wurde ein Teilnehmer zu der Veranstaltung eingeladen und ausgezeichnet. Die TUM hat mit Abstand die meisten Leute ins Ausland geschickt. Deshalb konnte jeder Fakultät ein oder zwei Studenten nominieren. Am Ende durfte ich nach Berlin.

Würdest du wieder ins Ausland gehen?

Ja, sofort. Meine Freundin und ich überlegen, ob wir nochmal für eine längere Zeit weggehen. Vielleicht noch einmal nach Stockholm oder in den Norden Schwedens. Ich habe mein komplettes Denken über Freiheit und Europa geändert.

Fühlst du dich jetzt „europäischer“?

Eindeutig „Ja“. Mal rein wirtschaftlich gesehen: Egal, wo man einkauft, man hat immer die gleiche Steuernummer. Man kann Waren und Geld hin- und herschieben, es gibt keine Zölle. Man kann reisen. Wenn ich auf meine Oma gehört hätte, die sagte „Mei, soweit weg willst du gehen“, und alle so denken würden... dann würden wir immer noch in der Kleinstaaterei leben. Dieses Denken verliert man komplett, wenn man länger in Europa unterwegs war.

Stefan Zenkel ist gebürtiger Fürther. Er war im Winter 2012/13 für ein Auslandssemester in Stockholm. Gerade hat er an der TUM seinen Master in Wirtschaftsinformatik absolviert. Er ist selbstständig und baut jetzt seine Firma, die aConTech Enterprise IT-Solutions GmbH, weiter aus. Sie beschäftigt sich mit modernen Cloud Technologien.


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