• 24.3.2021
  • Lesezeit: 5 Min.

Prof. Wolfgang Kellerer zur Entwicklung der nächsten Mobilfunkgeneration

„Bei 6G wird der Mensch im Mittelpunkt stehen“

Von der Kommunikation mit Hologrammen bis zu ferngesteuerten Operationen – die nächste Mobilfunkgeneration 6G soll zahlreiche Hightech-Anwendungen möglich machen. An der Technischen Universität München (TUM) startet nun ein Großprojekt, das die wichtigsten Grundlagen für den neuen Standard legen will. Projektleiter Prof. Wolfgang Kellerer erklärt im Interview, wie 6G zum intelligentesten Mobilfunknetz wird, wann Deutschland eine führende Rolle einnehmen könnte und warum es in der Forschung weniger um Geschwindigkeitsrekorde als vielmehr um eine Sicherheit von 99,999999999 Prozent geht.

Prof. Wolfgang Kellerer in seinem Labor. Andreas Heddergott / TUM
Prof. Wolfgang Kellerer forscht an einem leistungsstarken 6G-Netz, das Robotik-Anwendungen ermöglicht.

Das 6G Zukunftslabor Bayern an der TUM gilt als größtes universitäres Forschungsprojekt in Deutschland zur sechsten Mobilfunkgeneration. Es ist Teil der 6G-Initiative Bayern, für die das Bayerische Wirtschaftsministerium mindestens fünf Millionen Euro Fördermittel zur Verfügung stellen wird. Zwölf Professuren werden in den nächsten drei Jahren grundlegende Mechanismen für 6G entwickeln und eine Roadmap für die Standardisierung und Einführung erarbeiten. Projektleiter Prof. Wolfgang Kellerer ist zugleich einer der beiden Sprecher der heute gestarteten Plattform Thinknet 6G von Bayern Innovativ, einem weiteren Baustein der bayerischen Initiative, die alle relevanten Akteurinnen und Akteure vernetzen will.

Der Mobilfunkstandard 5G ist noch nicht flächendeckend eingeführt, da arbeiten Sie mit 6G schon an der nächsten Generation. Ist 5G etwa schon wieder überholt?

5G wird weiter im Einsatz sein, auch wenn die nächste Mobilfunk-Generation eingeführt ist. Aber es wird Unterschiede in der Anwendung geben: 5G spielt eine entscheidende Rolle für die Industrie 4.0, es ermöglicht eine neue Dimension der Kommunikation von Maschinen untereinander. Bei 6G sollen der Mensch und seine Umgebung im Mittelpunkt stehen.

Damit meinen Sie aber nicht den Menschen mit seinem Handy?

Nicht in erster Linie. Es geht vielmehr um eine Vielzahl an Technologien, die in unsere Lebenswelt eingebunden sind und mit denen wir dank höchster Mobilfunkqualität und Sensorik ganz selbstverständlich interagieren. Das können Assistenzroboter im Haushalt sein, hochaufgelöste 3D-Karten für autonome Fahrzeuge oder Hologramme, mit denen wir beispielsweise Gesprächspartner visualisieren können. Auch die Steuerung von medizinischem Operationsgerät aus der Ferne und weitere Anwendungen, bei denen es um millimetergenaue Positionierungen geht, wird der 6G-Standard ermöglichen.

Wie hoch wird die Übertragungsgeschwindigkeit bei 6G sein?

Wir gehen davon aus, dass durch die höheren Frequenzen, mit denen 6G arbeitet, eine Übertragungsrate von einem Terabit pro Sekunde erreicht werden kann. In unserem Forschungsprogramm interessieren uns allerdings weniger die Geschwindigkeitsrekorde. Wir wollen die Grundlagen legen für größte Ausfallsicherheit, kürzeste Latenzzeiten, höchste Energieeffizienz und neue Verfahren, die auch beim Einsatz von Quantencomputern Datensicherheit bieten.

Das klingt zunächst nach Sekundärtugenden.

Im Gegenteil sind es für die Hightech-Anwendungen, die 6G möglich machen soll, die entscheidenden Punkte. Denken Sie an die Telearbeit bei Operationen – wenn es um das Leben eines Menschen geht, dürfen wir uns nicht mit 99,9 Prozent Zuverlässigkeit zufriedengeben. Für das 6G-Netz streben wir eine Ausfallsicherheit von 99,999999999 Prozent an.

Ein anderes Beispiel ist die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter. Wenn solche Assistenten im Alltag oder in der Pflege eingesetzt werden, kommen sie den Menschen sehr nah. Deshalb darf es bei ihrer Steuerung so gut wie keine Latenz geben, also keine Verzögerung bei der Verarbeitung der Funksignale. Schließlich könnte eine falsche Reaktion schon binnen Sekundenbruchteilen dazu führen, dass der Roboter jemanden verletzt oder etwas zerstört. Für 6G streben wir Latenzzeiten an, die deutlich unter einer Millisekunde liegen.

Diese Eigenschaften sollen auch für die Ende-zu Ende-Kommunikation garantiert werden und über die verschiedenen Netze hinweg. Es wird ja in der Regel nicht nur innerhalb des Netzes eines Anbieters kommuniziert. Was sich vielleicht trivial anhört, sind enorme Herausforderungen. Und schließlich wollen wir das Gesamtnetz intelligent machen.

Was bedeutet Intelligenz für ein Mobilfunknetz?

Mit Künstlicher Intelligenz soll das Netz in der Lage sein, selbst Berechnungen durchzuführen und sich permanent zu optimieren. Es soll so flexibel und anpassungsfähig sein, dass es zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle die benötigte Leistung zur Verfügung stellt.

6G wird die erste Mobilfunkgeneration sein, bei der das Netz und eine Unmenge an Sensoren zusammenarbeiten, die in den im Netz betriebenen Geräten eingesetzt sind, also beispielsweise in Robotern und autonomen Fahrzeugen. Dabei kann das Netz erstmals auch selbst zum Sensor werden, weil wir anhand der Funksignale bestimmte Informationen gewinnen können, etwa ob sich ein Objekt zwischen Sender und Empfänger befindet. Aus der Summe der Informationen kann sich die Künstliche Intelligenz ein Bild der Umgebung des Nutzers und der benötigten Kommunikationsleistungen machen und daraufhin wiederum das Netz anpassen.

Die große Herausforderung ist, Netzarchitekturen zu entwickeln, die die Eigenschaften verschiedener Sensoren optimal nutzen können und gleichzeitig trainierbar sind. Ein Kernstück unserer Forschung sind deshalb sogenannte digitale Zwillinge. Das sind virtuelle Abbilder eines Objekts, die schon in der Industrie eingesetzt werden. Man legt heute am Computer beispielsweise eine digitale Version einer Produktionsanlage an, die exakt der realen Anlage gleicht, um so deren Arbeit nachvollziehen und weiterentwickeln zu können. Solche Zwillinge wollen wir vom Netz und seinen einzelnen Komponenten erarbeiten, um sie mit maschinellem Lernen zu optimieren.

Wann wird 6G im Einsatz sein?

Die Entwicklung einer neuen Mobilfunkgenerationen dauert erfahrungsgemäß rund zehn Jahre. Damit wir Anfang der 30er Jahre tatsächlich einen großen Wurf haben, wollen wir in der Grundlagenforschung die Weichen von Anfang an gemeinsam mit den anderen Akteurinnen und Akteuren stellen. Wir wollen von Wirtschaft und Gesellschaft wissen, welche Anforderungen sie haben. Diese Vernetzung geschieht nun auf der Plattform Thinknet 6G.

Im Zyklus der Mobilfunkgenerationen starten wir diesmal übrigens früher mit der Entwicklung der nächsten Generation als üblich.

Hat Deutschland damit die Chance, eine führende Rolle bei 6G zu spielen?

Ja, wir wollen die Grundlagen schaffen, dass Unternehmen ganz vorn dabei sein können, dass Start-ups entstehen und dass in unseren Studiengängen die besten Expertinnen und Experten ausgebildet werden.

Bei einer solchen Schlüssel-Infrastruktur geht es letztlich auch um Souveränität. Wenn Komponenten dieses Netzes ausfallen, müssen wir unter allen Umständen selbst in der Lage sein, jede einzelne davon zu ersetzen.

Zur Person:

Prof. Wolfgang Kellerer ist Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationsnetze an der TUM. Zuvor arbeitete er in der Industrie und an der Stanford University. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf den methodischen Grundlagen für Kommunikationsnetze. Kellerer ist Mitglied des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Regulierungsfragen der Bundesnetzagentur und Studiendekan der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik der TUM.

Technische Universität München

Corporate Communications Center

Kontakte zum Artikel:

Prof. Dr. Wolfgang Kellerer
Technische Universität München (TUM)
Lehrstuhl für Kommunikationsnetze
Tel.: +49 89 289 23500
wolfgang.kellererspam prevention@tum.de
 

Aktuelles zum Thema

HSTS