Stipendiat Wiyar Sharif Maren Willkomm
Leidenschaftlicher Bauingenieurstudent: Wiyar Sharif

Wiyar Sharif

...flüchtete in den 90er Jahren mit seiner Familie aus Afghanistan, um in Deutschland ein besseres Leben zu finden. Wie sie den Weg hierher gefunden haben und welche Leistungen er und seine Familie erbringen mussten, erzählt der Deutschlandstipendiat im Interview.

Wiyar, Deine Eltern sind 1994 mit Euch fünf Kindern von Afghanistan nach Deutschland geflohen. Wie war Eure Situation damals?

Wiyar Sharif: Wir haben damals in der Hauptstadt Kabul gelebt. Meine Mutter war Frauen­ärztin in einem Kranken­haus und mein Vater war Staats­beamter. Schon damals waren in Afghanistan politische Unruhen. In Kabul war das besonders schlimm, es herrschten Chaos und Anarchie. Oft wurde die Stadt von Bomben­angriffen heim­gesucht. Meine Eltern haben beschlossen, dass es zu gefährlich für unsere Familie ist, zu bleiben. Wir sind 1993 ins benachbarte Pakistan geflohen und über viele Umwege schließlich in Müncheberg in Brandenburg gelandet.

Du warst damals doch sehr klein. Kannst Du Dich an all diese Erlebnisse noch erinnern?

Wiyar Sharif: Ja, ich kann mich an alles noch sehr genau erinnern. Auch an die Flucht. Das war schlimm, zumal wir ja nicht wussten, ob wir alle zusammen­bleiben würden. In Münche­berg haben wir dann in einem Asylanten­heim gewohnt, bis der Antrag bewilligt wurde. Meine älteren Brüder gingen in die Schule und meine Schwester, mein jüngerer Bruder und ich besuchten den Kinder­garten und lernten schnell Deutsch. Meinen Eltern war es sehr wichtig, dass wir alle eine gute schulische Bildung bekommen.

Deine Familie hat dann eine befristete Aufenthalts­genehmigung bekommen. Wie ging es danach weiter für Euch?

Wiyar Sharif: Wir sind dann 1995 nach München umgezogen und mein Vater hat hier mit Hilfe verschiedener Berufe und im Rahmen seiner Möglich­keiten versucht unsere siebenköpfige Familie zu ernähren. Denn in den beiden Jahren der Flucht hatten wir leider unser ganzes Erspartes aufgebraucht. Seit unserer Ankunft in Deutschland hat sich meine Mutter in den Dienst der Familie gestellt und sich fortan der Erziehung Ihrer Kinder gewidmet. Ich bin meinen Eltern unendlich dankbar für alles, was sie für uns getan haben und uns ermöglichten. Während meine älteren Brüder eine Berufs­ausbildung absolviert haben, besuchten meine ältere Schwester, mein jüngerer Bruder und ich das Gymnasium und haben mittlerweile alle die allgemeine Hoch­schulreife erlangt.

Heute studierst Du Bauingenieur­wesen an der TUM. Warum hast Du Dich für diesen Studien­gang entschieden?

Wiyar Sharif: Bedeutende und berühmte Bauwerke wie der Olympiaturm oder die Allianz Arena haben mich schon immer fasziniert. Vor allem hat mich die ingenieur­wissenschaftliche Technik, welche in solchen Baukonstruk­tionen steckt und die Kunst, solche komplexe Bauvorhaben sowohl in terminlicher, wirtschaftlicher als auch in qualitativer Weise optimal zu realisieren immer schon begeistert und ich wollte mehr von diesem Gebiet erfahren. Zudem war es immer schon ein Traum von mir und in meinem Hinter­kopf, etwas zu machen, was sich mit dem Wiederaufbau Afghanistans verbinden lässt. Und was passt in einem zerstörten Land besser, als meine Fach­kenntnisse aus dem Bauingenieur­studium mit Hilfe von deutschen Unter­nehmen und im Namen Deutschlands dafür einzusetzen.

Wie hast Du Dein Studium vor dem Deutschland­stipendium finanziert?

Wiyar Sharif: Meine Eltern hatten zwar in Afghanistan gute Stellen, aber in Deutschland hatten wir ständig schlechte Einkommens­verhältnisse, sodass wir uns von Beginn an in einer finanziell prekären Lage befanden und in strukturell schwachen Gegenden aufwachsen mussten. Dennoch wollte ich unbedingt studieren, sodass ich seit Beginn meines Studiums das BaföG als Einkommen für meinen Unterhalt beziehe. Mein Taschen­geld habe ich dagegen durch gering­fügige Neben­berufe verdient. So habe ich eine kurze Zeit lang in einem Lebens­mittelladen gearbeitet bevor ich die Prüfung zum Fahrgast­beförderungsschein bestanden habe und seit dem je nach finanzieller Lage und wenn mein Studium es zeitlich zugelassen hatte als Taxifahrer nachts an Wochen­enden arbeitete.

Wie hast Du vom Deutschland­stipendium erfahren?

Wiyar Sharif: Meine Schwester kannte bereits das Deutschland­stipendium aus Ihrer Universität und hat mich darauf gebracht und mich ermutigt, mich zu bewerben. Zunächst war ich sehr unsicher darüber, ob ich ausreichende Voraussetzungen für das Stipendium besitze. Im Nachhinein hat aber die positive Antwort auf meine Bewerbung alle meine Zweifel aufgehoben. Frau Gerhard von der KHG war dabei eine große Unterstützung, ich danke ihr für die tolle Beratung.

Was bedeutet das Deutschlandstipendium für Dich?

Wiyar Sharif: Das Deutschland­stipendium bedeutet mir sehr viel. Ich habe jetzt viel mehr Zeit für die wesentlichen Dinge, weil ich nicht mehr neben dem Studium Taxi fahren muss und mich komplett auf mein Studium konzen­trieren kann. Außerdem sehe ich das Stipendium als Anerkennung für meine bisherigen Leistungen. Aber auch die ideelle Förderung ist mir wichtig, der direkte Kontakt zu meinem Förderer und zur Wirtschaft. Ich hatte bereits das Glück meinen Förderer, Prof. Dr. Gallus Rehm, der sich durch die Beteiligung an berühmten Projekten wie beispiels­weise dem Bau des Olympiastadions in München einen Namen gemacht hat, in seinem Institut besuchen zu dürfen. Dabei habe ich sehr wertvolle und hilfreiche Tipps für meine zukünftigen Pläne und Ziele erhalten. Schon heute haben wir weitere Treffen geplant und ich hoffe, dass wir eine lange Zeit in Kontakt bleiben und ich von seinem großen Wissensschatz weiterhin profitieren kann. Das Stipendium bedeutet für mich darüber hinaus, dass ich mit vielen anderen Studenten in Kontakt komme - die anderen Stipendiaten sind alle nett und aufgeschlossen - ein tolles Netzwerk, in dem ich mich gut aufgehoben fühle.

Was gefällt Dir am Deutschlandstipendium?

Wiyar Sharif: Ich finde es toll, dass bei der Auswahl der Stipendiaten auch weiche Faktoren zählen. Nicht nur meine akademische Leistung sondern auch mein familiärer Hintergrund wird berücksichtigt. Mir gefällt auch das Projekt „Talente Spenden“, das Stipendiaten ins Leben gerufen haben und in dem ich mich sehr gerne engagiere. Da die finanzielle Situation der Studenten bekanntlich sehr bescheiden ist, können wir hier statt Geld unsere Talente und Fähig­keiten, weiter­geben und hilfs­bedürftige Menschen unter­stützen. Eines der Projekte ist ein Mentoring-­Programm, in welchem Stipendiaten minder­jährigen und unbegleiteten Flücht­lingen Nachhilfe­unterricht in Deutsch und anderen Fächern geben oder mit Ihnen auf Exkur­sionen gehen. Als ehemaliger Flüchtling ist das für mich eine Herzensangelegenheit und etwas ganz Besonderes. Ich kann mich sehr gut in sie hinein­versetzen und ihnen Mut machen, dass man es in Deutschland auch mit Migrations­hintergrund zu etwas bringen kann. Ich möchte mich auch in Zukunft weiterhin bei „Talente Spenden“ engagieren.

Möchtest Du Deinem Förderer noch etwas sagen?

Wiyar Sharif: Ich möchte Ihm sagen, dass ich sehr dankbar dafür bin Ihn kennen­gelernt zu haben und es sehr beein­druckend finde, wie er sich für die Gesell­schaft und die jungen Menschen einsetzt. Aber ich möchte auch meine Dankbarkeit gegenüber Deutschland zum Ausdruck bringen. Dieses Land hat es meiner Familie und mir ermöglicht, ein neues Leben zu beginnen und mit starkem Willen, harter Arbeit und großer Zielstrebig­keit trotz schwierigen Bedin­gungen Erfolg zu haben. Dass ich in meinem Leben so viele Chancen, Unterstützung und Anerkennung bekommen habe, macht mich sehr stolz und dankbar. Abschließend möchte ich mich recht herzlich bei der TU München für die Möglichkeit bedanken, dass ich meine erlebten Erfahrungen und Erkenntnisse als Student mit Migrations­hintergrund und einer Vergangen­heit als Flüchtling an die nachfolgenden Generationen weitergeben kann. Ich hoffe, dass ich mit der Darstellung meiner persönlichen Erlebnisse den anderen Studenten als Motivation und Ansporn für ihre eigenen Studien dienen kann.

HSTS