Präsident Prof. Thomas F. Hofmann und Prof. Annette Diefenthaler im Interview
„Innovationen vertrauenswürdig und gesellschaftsfähig gestalten”

Wir leben in einer Zeit komplexer Herausforderungen – technologisch, ökologisch und sozial. Wie können wir als Universität darauf reagieren, Herr Professor Hofmann?
Prof. Thomas F. Hofmann: Die aktuelle Situation in den USA macht traurigerweise deutlich, was passieren kann, wenn sich Eliteuniversitäten zu stark entkoppelt von der gesellschaftlichen Breite entwickeln. Ich bin überzeugt, dass zukunftsfähige Universitäten all ihre wissenschaftliche Exzellenz künftig noch stärker auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse ausrichten müssen. Universitäten, die sich im Elfenbeinturm nur mit sich selbst beschäftigen, werden ihr gesellschaftliches Mandat kaum erfüllen können. Im Gegenteil, nur „offene Universitäten“, die den Mut aufbringen, in ihren Innovationsprozessen die Erwartungen, Fragen und Sorgen der Menschen aufzugreifen, werden die gestalterische Kraft entwickeln, die man von ihnen erwartet.
Dafür ist ein ganzheitliches Neudenken von einer technologiegetriebenen hin zu einer gesellschaftszentrierten Universität notwendig: ‚Society-centered Research & Innovation ‘ – damit fokussieren wir verstärkt auf verantwortungsvolle und vertrauenswürdige, ja gesellschaftsfähige Innovationen. Dabei verbinden wir disziplinäre Kompetenzen, nutzen Designintelligenz und schaffen neue Lösungsansätze für komplexe Herausforderungen, die sich in introvertierten Denksilos nicht bewältigen lassen.
Eine zentrale Maßnahme der TUM, um das zu erreichen, ist das Munich Design Institute (MDI). Welchen Mehrwert bieten Ansätze aus der Designforschung?
Prof. Thomas F. Hofmann: Das Munich Design Institute ist ein Herzstück unserer Neuausrichtung. Als integratives Forschungsinstitut wirkt es als Bindegewebe zwischen den Schools, um transdisziplinäre Innovationspotentiale zu erschließen. Es integriert Verhaltensanalysen, Fertigungstechniken, Produktentwicklung, technisches Design und Rapid Prototyping und vieles mehr, um die kreativen Fähigkeiten von Studierenden, Forschenden und Gründungsinteressierten zu entfalten und völlig neue, wertschöpfende Wirkungen auf die Gestaltung von Technologien, Produkten, Software, Prozessen und Veränderungstrajektorien zu schaffen.
Prof. Annette Diefenthaler: Design ist per se eine Disziplin, die interdisziplinäre Zusammenarbeit aktiv gestaltet – mit einem breiten Spektrum an Methoden und kollaborativen Prozessen. Mit dem MDI bringen wir Designschaffende, Industriepartner, Bürgerinnen und Bürger mit Forschenden zusammen, um gemeinsam an Lösungen für zentrale Zukunftsfragen zu arbeiten. Wir machen Dinge verständlich, damit Menschen verschiedener Bildungsniveaus, kultureller oder sozioökonomischer Hintergründe und jeden Alters Zugang finden. Das ist besonders wichtig im Kontext der rapiden Weiterentwicklung von Technologien. Sie macht oft Angst und lässt Menschen eher zurück als nach vorne blicken.
Mit kreativer Vorstellungskraft können wir im Design mehrere Zukunftsszenarien greifbar und anschaulich machen. Wir nennen das auch Future Literacy: Sie ermöglicht uns, die Zukunft auszuprobieren und auf dieser Basis Entscheidungen zu treffen.
So können verschiedene Menschen an einem Gestaltungsprozess mitwirken. Aus dem Gefühl der Selbstbeteiligung und der Selbstwirksamkeit entsteht wiederum die Hoffnung, dass sich eine lebenswerte Zukunft auch umsetzen lässt.
Was ist Design?
Design ist die Disziplin, die visionäre, strategische und umsetzbare Lösungen für eine lebenswerte Zukunft schafft: In iterativen und nicht-linearen Prozessen entstehen kreative Ideen, die zielgerichtet weiterentwickelt werden. Prototyping und Visualisierung schaffen besonders in interdisziplinärer Zusammenarbeit ein gemeinsames Verständnis.
Ursprünglich auf Form und Funktion fokussiert, werden durch Design heute komplexe Systeme, Erfahrungen, Organisationen und sogar politische Prozesse gestaltet.
Was bedeutet das konkret für die Entwicklung neuer Technologien?
Prof. Annette Diefenthaler: Eine Gesellschaft besteht aus vielen verschiedenen Menschen mit unterschiedlichen Wertesystemen, die wir in den Entwicklungsprozess einbeziehen. Das ist nicht einfach. Wir wollen das in drei Bereichen angehen.
Durch Mitgestaltung bei der Forschungsfrage an sich: Im Moment definieren Forschende, was uns an Fragen wichtig ist. Aber was beschäftigt die Gesellschaft? Mechanismen aufzubauen, um Forschungsfragen in die Universität hineinzutragen, ist ein erster Schritt. Der zweite Schritt ist die aktive Beteiligung von Menschen aus der Gesellschaft am Forschungs- und Designprozess. Und der Dritte ist, wissenschaftliche Erkenntnis in relevante, konkrete Lösungen zu übertragen.
Und darüber steht die Frage: Ist das, was wir hier bearbeiten, überhaupt ein lösenswertes Problem? Dieses kritische Hinterfragen ist eine Handlungseinstellung und eine Haltung, die den Mut erfordert, Umwege zu gehen.
Können Sie den Austausch mit anderen Forschungsfeldern näher beschreiben?
Prof. Annette Diefenthaler: Design hat sich immer durch die Zusammenarbeit mit und Inspiration aus anderen Disziplinen weiterentwickelt. An der TUM haben wir die besondere Möglichkeit, durch die Zusammenarbeit mit anderen Forschungsfeldern und Anwendungsdomänen zu lernen und so auch unsere eigene Disziplin voranzubringen – methodisch und inhaltlich.
Prof. Thomas F. Hofmann: Das MDI wird beispielsweise auch bei der Ausgestaltung des neuen Exzellenzclusters TransforM unterstützen. Hier werden sozialwissenschaftliche Fragen und gesellschaftliche Implikationen von Beginn an in den Innovationsprozess einfließen, um Lösungen zu finden, die über rein technisch-naturwissenschaftliche Ansätze hinausgehen. Mit Hilfe von Designansätzen und durch das Einbeziehen von gesellschaftlichen Werten und Erwartungen vermeiden wir Arbeit an Technologien, die nicht nachhaltig oder gesellschaftlich relevant sind oder für die es keinen Markt gibt. Daher erwarten wir gerade auch für Start-ups eine spannende Bereicherung durch das MDI.
Bei der Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz spielen Designprozesse ebenfalls eine wichtige Rolle. Wie können neue KI-Entwicklungen sozialen, regulatorischen und ethischen Anforderungen gerecht werden – und damit der Gesellschaft ganzheitlich nutzen? An solchen Fragen arbeiten wir unter anderem in der Konrad Zuse School of Excellence in Reliable AI (relAI) und dem Center for Responsible AI Technologies. Und an der TUM School of Social Sciences and Technology (SOT) oder dem TUM Center for Educational Technologies untersuchen wir Auswirkungen von KI auf die Art und Weise, wie wir künftig forschen und Wissen vermitteln, und wie wir KI sinnvoll nutzen werden.
Ein weiterer Schritt in diese Richtung ist der neue Masterstudiengang „AI in Society“. Neben technischen Kompetenzen erwerben die Studierenden ein tiefgehendes gesellschaftliches Verständnis und lernen, verantwortungsvolle KI-Innovationen voranzutreiben, ihre komplexen Regulierungen in die richtige Richtung zu steuern und damit Technologien für eine bessere Zukunft zu fördern.
Münchner Zentrum für Transformative Technologien und gesellschaftlichen Wandel
Exzellenzcluster TransforM
Entwicklungen wie Robotik, Künstliche Intelligenz und Autonomes Fahren können gesellschaftliche, wirtschaftliche oder kulturelle Strukturen grundlegend verändern. Die Forschenden des sozialwissenschaftlichen Exzellenzclusters TransforM untersuchen von Beginn an, wie sich neue Technologien auf eine Gesellschaft auswirken und wie sich das transformative Potential neuer Technologien heben lässt. Dabei sollen Theorien und Methoden zu Partizipation, Legitimität, Verantwortung, Sicherheit und Resilienz neu gedacht werden.
In welchen anderen Bereichen leben wir unsere gesellschaftszentrierte Haltung bereits?
Prof. Thomas F. Hofmann: Es ist eine grundsätzliche Denkweise, die wir bereits begonnen haben, in verschiedenen Formaten in Forschung und Lehre zu integrieren. In der TUM: Junge Akademie oder den TUM Project Weeks beispielsweise lernen Studierende abseits ihrer Vorlesungen die Kompetenzen, Arbeitsweisen und Werkzeuge unterschiedlicher Disziplinen wertgebend zu verbinden und Lösungen für gesellschaftsrelevante Themen zu entwickeln. Ein weiteres Beispiel ist das neue TUM Public Science Lab – ein partizipatives Labor, das erforscht, wie Wissenschaft und Technologie die Gesellschaft prägen und wie gesellschaftliche Perspektiven Forschung und Innovation beeinflussen können. Der während der Covid-Pandemie gegründete TUM Think Tank fördert den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Public Communities, um in sektorübergreifender Zusammenarbeit und kritischer Auseinandersetzung konkrete Fragestellungen zu erarbeiten und Wissen in neues Handeln zu verwandeln.
Und auch im Bereich Entrepreneurship verfolgen wir diesen Ansatz. So arbeiten Studierende im Format THINK. MAKE.START an neuen Lösungsansätzen für Probleme der realen Welt. Sie lernen durch Handeln und Reflektieren außerhalb ihrer gewohnten Komfortzone und arbeiten in iterativen Innovationsprozessen, um beim Schaffen von neuen Technologien, Produkten und Dienstleistungen die Bedürfnisse und Anforderungen möglicher Kunden einzubeziehen. Mit dem Perspektivwechsel und einem agilen Austausch über Denk- und Sektorengrenzen hinweg erschließen wir neue Lösungsräume.
Prof. Annette Diefenthaler: Wir verstehen die Gestaltung von Gesprächsformaten als eine wichtige Aufgabe im MDI. Wir haben vor Kurzem das Format „Creative Collisions“ eingeführt – das ist ein Aufeinandertreffen, eine Kollision zwischen Menschen aus der Wissenschaft, der Industrie, aus der Gesellschaft und aus Gestaltungsdisziplinen. Meine Studierenden haben diese Konversationen so gestaltet, dass sie auf Augenhöhe stattfinden können und dadurch Inspiration und neue Ideen entstehen. Solche Veranstaltungen werden wir weiterhin realisieren. Denn wenn wir nicht auf einer grundsätzlichen, menschlichen Ebene ins Gespräch kommen, können wir niemals gesamtgesellschaftlich agieren.
Was für eine Rolle nimmt das MDI im Austausch mit Industriepartnern ein?
Prof. Annette Diefenthaler: Wir verstehen uns als eine Art Eingangstür für die Industrie. Wir sehen Industriepartner als wichtige Impulsgeber, als Fachexperten und auch als Gegenstand der Forschung. Durch diese Akteure oder Partnerorganisationen können Fragen an uns herangetragen werden. Wir bringen im nächsten Schritt die passenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen, um sie zu bearbeiten.
An welchen Projekten arbeiten Sie am MDI gerade und welche sind in Planung?
Prof. Annette Diefenthaler: Wir bauen momentan die Grundlage für unsere Forschungsaktivitäten durch erste Experimente auf. Hier suchen wir uns bewusst sehr unterschiedliche Themen und Bereiche. In den Ernährungswissenschaften beispielsweise möchten wir mit Designansätzen an der Qualität von Forschungsdaten arbeiten. Wir möchten mittels Einflussnahme auf die Bedingungen für Studienteilnehmende dazu beitragen, die Qualität dieser Daten zu verbessern, zum Beispiel die Abbruchquoten bei Studien verringern.
Im Bereich der Pflegerobotik erforschen wir neue Gestaltungsparadigmen für das Zusammenleben von Menschen und humanoiden Robotern. Diese werden von älteren Menschen vielleicht toleriert, aber sind noch nicht so gestaltet, dass sie wirklich in ihre Lebenswelt passen. Hier gibt es viel Potential, technischen Fortschritt mitzugestalten. Außerdem arbeiten wir an einem Vorhaben im Bereich des Machine Learning und der Datenwissenschaften, bei dem es darum geht, partizipative Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse besser verständlich zu machen. Im Design müssen wir oft viele ineinandergreifende Entscheidungen gleichzeitig treffen und es ist schwer zu erfassen, wie sie sich zueinander verhalten. Wenn Personen von außen am Designprozess teilhaben, müssen wir verständlich machen, welche Designentscheidung welche Folgen hat. Wir denken, dass Machine Learning und das digital gestützte Modellieren von Szenarien hier wertvoll sein können.
Auch eine Zusammenarbeit mit den Materialwissenschaften und im Neurodesign haben wir geplant, und natürlich wollen wir auch mit der Politik zusammenarbeiten. Denn Demokratie, der politische Prozess und seine Inhalte sind ebenfalls gestaltbar.
Und wie könnte es in Zukunft universitätsweit oder auch in der Verwaltung aussehen?
Prof. Thomas F. Hofmann: Design an der TUM wird weit über den Prozess der reinen Formgebung von Produkten und Systemen hinauswachsen. Das umfasst: Wir betrachten die aus einem intendierten Einsatz resultierenden Anforderungen an eine Technologie, an Produkte oder Systeme zur Erfüllung ihres Einsatzwecks. Also im Hinblick auf die technische Funktion, auf ökonomische und ökologische Randbedingungen. Dazu gehören beispielsweise Materialeinsatz, Kostenoptimierung oder Wiederverwendbarkeit, aber auch zunehmend die Interaktion mit dem menschlichen Nutzer, was Bedienbarkeit oder ergonomische Aspekte angeht.
Damit soll das wissenschaftlich rückverankerte Design zu einem essentiellen, durchgängigen Begleiter von Forschung, Lehre und Innovation werden – und in der gesamten Breite des Fächerprofils der TUM durch vernetztes Denken und kollektive Kreativität (,,Systems Thinking") völlig neue, wertschöpfende Wirkungen auf die Gestaltung von Technologien, Produkten, Software oder von Transformationsprozessen schaffen.
Eindrücke der Veranstaltung „Creative Collisions"
- Das Munich Design Institute (MDI) ist ein integratives Forschungsinstitut, das Designschaffende mit Forschenden aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Feldern sowie Personen aus Industrie und Gesellschaft zusammenbringt. Sein Ziel ist es, durch Designforschung zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln, die gleichermaßen visionär, strategisch und umsetzbar sind.
- Prof. Annette Diefenthaler ist seit 2023 Professorin für Design und Transdisziplinarität an der TUM School of Engineering and Design und Executive Director des Munich Design Institute.
- Präsident Prof. Thomas F. Hofmann
- Der Auftakt zur Veranstaltungsreihe „Creative Collisions” fand am 16.05.2025 statt.
- Exzellenzcluster der TUM
- Website des Exzellenzclusters TransforM
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