• 20.1.2023
  • Lesezeit: 4 Min.

Unterwegs mit zwei Brauexperten im georgischen Kaukasus

Reise zum Ursprung des Lagerbieres

Kein Bier ohne Gerste, Hopfen und Hefe. Eine ganz besondere Hefeart vermuten Brautechnologe Dr. Martin Zarnkow und Getränkemikrobiologe Dr. Mathias Hutzler in Georgien. Also gingen sie auf „Hefejagd“ und erforschten Mikrobiologie und Brautradition der Kaukasusregion.

Vier Männer stehen vor einem Bergkamm im Hohen Kaukasus. Juan Ignacio Eizaguirre
Auf „Hefejagd“ im Hohen Kaukasus: Die Forscher Martin Zarnkow, Juan Ignacio Eizaguirre, Giga Kvartskhava und Mathias Hutzler (v. l. n. r.). Hier sind sie in Akhieli, einer Gemeinde in der Region Chewsuretien, Georgien.

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Das erfolgreichste Bier der Welt ist das Lagerbier, das bei niedrigen Temperaturen vergoren wird. Das in Bayern vermarktete Lagerbier wurde unter anderem an der TUM wissenschaftlich auf Weltniveau gebracht. Die grundlegenden Rohstoffe dafür sind Gerste und Hopfen, vor allem aber die kältetolerante sogenannte untergärige Hefe, die sich nach der Gärung auf dem Gärgefäßboden absetzt. Diese Hefe ist eine Kreuzung, deren genaue „Eltern“ noch nicht gefunden wurden.

Da zumindest der Hopfen aus Georgien nach Mitteleuropa kam und auch viele andere Früchte aus diesem Land stammen, vermuten mein Kollege Dr. Mathias Hutzler vom Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität und ich den Ursprung der untergärigen Hefe ebenfalls in Georgien. Gemeinsam mit unserem argentinischen Kollegen Dr. Juan Ignacio Eizaguirre nahmen wir Kontakt mit Dr. Lia Amiranashvili und Prof. Giga Kvartskhava von der Georgischen Technischen Universität in Tiflis auf. Wir wollten verschiedene Standorte in Georgien, vor allem in isolierten Hochgebirgsgebieten, untersuchen, um die mikrobielle Biodiversität der Region zu analysieren. Ein weiteres Ziel unserer Forschungsexkursion war es, anthropologische Studien zum Brauen in der Hochgebirgsregion des Kaukasus zu betreiben.

Üppige Wälder mit großer Artenvielfalt

So haben wir uns auf „Hefejagd“ in Georgien begeben. Hefepilze kommen überall in der Natur vor und es gibt mehr als 1.600 bekannte Spezies mit jeweils unterschiedlichen Eigenschaften. Die biologische Vielfalt der Umwelt zeigt sich auch in der Biodiversität der Hefen und dadurch in der Vielfältigkeit der hefefermentierten Lebensmittel und Getränke. Wir vermuten, dass die von uns gesuchte Gärhefe zum einen kältetolerant ist und zum anderen ganz besonders gut in unserer Bierwürze, also einer sehr zuckerhaltigen Flüssigkeit, gedeiht. Deshalb orientierten wir uns bei unserer Spurensuche an diesen beiden Faktoren.

Zunächst hatten wir zwei Bergregionen im Visier, Tuschetien und Chewsuretien, wo wir nicht nur in üppige einheimische Wälder vordringen konnten, sondern auch das Glück hatten, Bergbrauereien zu besuchen. Hier trafen wir die verantwortlichen Brauer, die uns ihre Brauanlagen zeigten und uns einen Einblick in ihre Brauverfahren gewährten. Wir lernten ihre Verhaltensregeln kennen, die teilweise durchaus streng sind – und wir konnten die regionalen Biere probieren.

Dann besuchten wir noch zwei weitere Standorte mit einer überraschend großen Artenvielfalt, die keiner von uns erwartet hätte. Wir fanden uralte Wälder mit großen Nuss-, Apfel-, Birnen- und Pflaumenbäumen vor und uns wurde klar, warum manche Georgien den Garten Eden nennen. Innerhalb von zwei Wochen konnten wir etwa 200 Proben von Substraten wie Erde, Rinde, Blätter, Früchte und Pilze sowie Proben im Zusammenhang mit dem Brauprozess sammeln.

Über Stock und über Stein

Außerdem zogen wir Proben von Hopfen, der in der Region wild wächst. Wir besuchten vier hoch gelegene Brauereien in den Dörfern Khakhabo, Shenako, Akhieli und Roshka, jede mit ihren eigenen Besonderheiten. Die Anreise war wirklich beschwerlich – trotz Allradfahrzeug. Einmal brauchten wir für 70 Kilometer sieben Stunden. Wir passierten Pässe auf 3.000 Metern Höhe und befuhren unzählige kaum gesicherte Straßen mit Gegenverkehr. Aber es hat sich gelohnt, denn wir wurden immer durch das unglaublich schöne Panorama im Hohen Kaukasus entschädigt. Und viel wichtiger: Die anthropologischen Studien, die wir an unseren Zielorten betrieben haben, waren hochinteressant.

Tradition und Mikrobiologie

Sie lieferten neue Erkenntnisse über das historische Brauen und seine Übertragung auf das heutige Bier. Ein Bierbrauer erzählte uns zum Beispiel, dass er sich einen Monat vor dem Brauvorgang in den Wald zurückziehen muss, wo sich die heiligen Stätten der Region befinden. Er muss sich reinigen, das heißt, er darf kein Fleisch essen und keine sexuellen Kontakte eingehen. Erst nach dieser „Reinigung“ darf er ins Dorf zurück. Wir haben nun die Theorie entwickelt, dass uns dieser Brauch der Frage näherbringen könnte, wo die Hefe herkommt: Frauen und Männer haben unterschiedliche Mikrobiome auf der Haut, welche die Biergärung in altertümlichen Prozessen unterschiedlich beeinflussen können. Das kann sich beispielsweise in unterschiedlichen pH-Werten oder Aromaprofilen der Biere widerspiegeln. Auch das Mikrobiom des Brauers, das unter anderem von der Natur der „heiligen Haine“ beeinflusst wird, spielt beim Brauvorgang eine Rolle, wenn es mit Brauutensilien und Rohmaterialien in Kontakt kommt. Unsere Theorie ist, dass bei diesen Kontaktübertragungen auch die von uns gesuchten Hefen in den Brauprozess kommen. Dies werden wir jetzt überprüfen müssen.

Vielfalt an Brauereihefen

Wir konnten im Kaukasus also wertvolle Informationen sammeln, um zu verstehen, wie sich der Brauprozess entwickelte, von den verwendeten Zutaten bis hin zur Art des Bierkonsums. Alles in allem ist Georgien ein erstaunliches Reiseziel. Nicht nur wegen seiner Geschichte und Kultur, sondern auch wegen seiner charmanten und freundlichen Menschen. Das Land verfügt über eine immense Artenvielfalt, die sich in den Lebensmitteln und der gastronomischen Kultur deutlich widerspiegelt. Und während Georgien heute für seine in großen Tonamphoren, sogenannten Qvevris, vergorenen Weine weltberühmt ist, wird es vielleicht schon morgen für eine große Vielfalt an Brauereihefen bekannt sein!

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