• 16.6.2023
  • Lesezeit: 6 Min.

Special-Olympics-Athlet Louis Kleemeyer und Studentin Lena Pöhlmann im Interview

Wie inklusiv sind soziale Medien?

Wie Social Media besser von Menschen mit einer Lernbeeinträchtigung genutzt werden können, erforscht ein Team am TUM Think Tank – gemeinsam mit Athlet:innen der Special Olympics World Games, die vom 17. bis 25. Juni in Berlin stattfinden. Mitgemacht haben Louis Kleemeyer, dem Lesen und Schreiben schwerer fällt als anderen Menschen, und die Studentin Lena Pöhlmann. Im Interview erzählen sie, wie soziale Medien den Beruf erleichtern, wann der Zugang scheitert und wie eine neue App helfen könnte.

Louis Kleemeyer Privat
Louis Kleemeyer fällt Lernen, Lesen und Schreiben schwerer, weil sein Gehirn bei der Geburt nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt wurde.

Herr Kleemeyer, waren Sie heute schon in sozialen Medien unterwegs?

Kleemeyer: Ich war auf LinkedIn, habe bei meinem letzten Post geschaut, wer gelikt und kommentiert hat, und habe die Kommentare beantwortet. Und ich habe auch geschaut, was die anderen posten, denen ich folge, besonders in meinem beruflichen Bereich. Da gibt es einige, die zum Beispiel neue Webseiten vorstellen, die Menschen mit Behinderung helfen. Da schaue ich immer bei bestimmten Leuten rein, die mir und den Kunden meiner Beratungsfirma helfen könnten.

Sie nutzen also Social Media vor allem für Ihren Beruf?

Kleemeyer: Videos bei YouTube sehe ich mir natürlich auch zum Spaß an. Mein Fokus bei YouTube ist aber aufs Lernen gerichtet. Welche KI-Tools helfen für was genau? Wie kann man ein eigenes Business aufbauen? Das fällt mir einfach leichter, wenn mir das jemand in einem Video erklärt. Wenn ich das alles Schritt für Schritt sehen kann, statt dass ich alles lesen und mir bildlich vorstellen muss.

Sie sprechen sehr offen über Ihre Lernbeeinträchtigung. Gilt das auch in den sozialen Medien, in denen ja viele Menschen Diskriminierung erleben?

Kleemeyer: Bis ich 18 Jahre alt war, habe ich mich nicht getraut, jedem zu schreiben, weil ich mich teilweise geschämt habe, dass ich mit Rechtschreibfehlern antworte. Jetzt ist es so, dass ich das einfach zu mir dazu zähle. Und ich habe Tools gefunden, die mir helfen, meine Schwächen auszugleichen. Zum Beispiel Rechtschreib-Tools, die meine Texte überprüfen. Auf Social Media habe ich bisher nur einmal Mobbing erlebt und das ist schon Jahre her. Ich glaube, es macht auch einen Unterschied, wie man im Internet auftritt. Wenn man nur Negatives über die Behinderung postet, dann kann es schnell in eine andere Richtung gehen. Aber wenn man etwas postet, dass Menschen ohne Behinderung hilft, Menschen mit Behinderung zu verstehen, dann erlebt man das eigentlich gar nicht.

Frau Pöhlmann, wirken die sozialen Medien also inklusiv?

Pöhlmann: Louis kennt sich gut aus, ist vernetzt, macht sehr viel und bekommt positives Feedback. Dann haben wir aber auch mit Menschen gesprochen, die versuchen, medial präsenter zu sein, die aber negative, diskriminierende Kommentare bekommen haben. Eine verständliche Reaktion ist dann, doch wieder alles nur für Freund:innen sichtbar zu machen und sich dem nicht auszusetzen. Das ist schade, denn ein grundlegendes Ergebnis unseres Projekts ist: Die meisten Menschen mit Lernbeeinträchtigung haben Freude an den sozialen Medien.

Was hindert sie, neben negativen Kommentaren, die Kanäle stärker zu nutzen?

Pöhlmann: Es gibt verschiedene Zugangshürden, zunächst ganz basale: In manchen Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung gibt es keine Endgeräte, keinen Internetzugang oder den Nutzer:innen steht nur ein kleines Datenvolumen zur Verfügung. Darüber hinaus haben einige betreuende Personen Sorgen – etwa, weil den nutzenden Personen nicht immer klar zu sein scheint, welche Reichweite das Internet hat und dass es schnell kein geschützter Raum mehr ist. Außerdem kann es zu Schwierigkeiten bei der Bedienung kommen, etwa wenn die Navigationswege nicht klar sind, wenn Buttons sehr klein sind oder wenig mit Symbolen gearbeitet wird. Wenn zum Beispiel Updates anstehen, ist dann nicht klar, was zu tun ist. Oder ein anderes Beispiel aus dem Alltag: Eine Wohngruppe möchte für sich eine Social-Media-Gruppe einrichten. Die Menschen wissen diffus, dass es eine solche Funktion gibt. Aber ihnen ist nicht immer im Detail bewusst, wie sie dies konkret umsetzen können.

Herr Kleemeyer, auf welche Hürden stoßen Sie?

Kleemeyer: Mir fehlt zum Beispiel eine Vorlesefunktion. Bei langen Textbeiträgen, die als Bild formatiert sind, wäre es super, wenn ich sie mir in der Social-Media-App vorlesen lassen könnte. Man kann ja teilweise aus den Apps nicht mal etwas rauskopieren. Es gibt zwar eine Lösung, aber die ist umständlich: Screenshot machen, mit einem Tool den Text aus diesem Bild kopieren, dann in eine spezielle App rein, die das vorliest. Das behindert natürlich viele, die nicht lesen können oder nicht viel lesen wollen, weil es für sie zu anstrengend ist oder zu lange dauert. Ich lese solche langen Texte auch nur, wenn es wirklich notwendig ist.

Was wünschen Sie sich von den Betreiber:innen?

Kleemeyer: Dass häufiger leichte Sprache benutzt wird. Wo viel Text steht, schauen, dass es auch Alternativen gibt – genauso wie man hinter Bildern etwas für blinde Menschen schreibt, das vorgelesen werden kann.

Pöhlmann: Wichtig wäre allein schon, dass es jeden Text auf Deutsch gibt, weil viele einfach kein Englisch verstehen. Gut wäre zudem eine visuelle Unterstützung. Was für Menschen mit Seheinschränkungen eine große Rolle spielt: Können die Inhalte groß genug angezeigt werden, ohne dass komplett unklar ist, wo ich mich in der Navigation befinde? Ideal wäre, wenn schon im Entwicklungsprozess eines neuen Produkts die Barrierefreiheit regelmäßig getestet werden würde, so wie es bei Webseiten schon üblicher ist. 

Im Projekt „Inclusive Social Media“ haben Sie einen eigenen Lösungsvorschlag entwickelt.

Pöhlmann: Wir haben eine App konzipiert, die Menschen mit Lernbeeinträchtigung Kompetenzen vermitteln soll, die sozialen Medien zu nutzen – und zwar so, dass sie den eigenen Interessen dienen. Ich würde ganz einfach erklärt bekommen, was der jeweilige Zweck der Kanäle ist und welche Möglichkeiten ich habe: Wie kann ich meinen Status einstellen, ein Foto senden oder eine Person blocken? Hier könnte man jederzeit nachschauen, wie das Internet und einzelne Apps funktionieren – in leichter Sprache, mit Sprachausgabe, unterstützenden Videos und vielen Symbolen.

Zu den Personen

Louis Kleemeyer hat eine Ausbildung als Fachpraktiker für IT-Systeme absolviert und die Unique United GmbH gegründet, eine Online-Plattform von Menschen mit Behinderung für Menschen mit Behinderung. Der 22-Jährige berät außerdem Unternehmen zu einer inklusiven Arbeitswelt. Derzeit ist er Teil des Organisationsteams der Special Olympics World Games 2023. Bei den nationalen Spielen der Special Olympics gewann er 2022 Gold im Tennis. Kleemeyer fällt Lernen, Lesen und Schreiben schwerer, weil sein Gehirn bei seiner Geburt nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt wurde. 

Lena Pöhlmann studierte im Bachelor Public Health an der Universität Bremen, Soziale Arbeit an der Katholischen Stiftungshochschule München sowie Philosophie (Nebenfach) an der Hochschule für Philosophie München. Nach mehrjähriger beruflicher Tätigkeit im Rehabilitationsmanagement in der Stiftung Pfennigparade studiert die 29-Jährige derzeit im Master Health Sciences mit dem Fokus auf Prävention und Gesundheitsförderung an der TUM. Sie ist Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung und der Bayerischen EliteAkademie.
 

Weitere Informationen und Links
  • Im Projekt “Inclusive Social Media (InSoMe)” haben Studierende mehr als 60 Menschen mit Lernbeeinträchtigung und rund 90 Angehörige und Personen, die mit Menschen mit Behinderung arbeiten, befragt. Auf dieser Basis haben sie Lösungsvorschläge entwickelt, darunter die „Easy App“. Geleitet wird “Inclusive Social Media” an der Professur für Sport- und Gesundheitsdidaktik.
  • Das Projekt ist Teil des Re-Boot Social Media Lab am TUM Think Tank. Hier arbeiten Forscher:innen aus verschiedenen Disziplinen gemeinsam mit gesellschaftlichen Akteuren daran, die sozialen Medien zu verbessern. Der 2022 gegründete TUM Think Tank bringt Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik zusammen, um Lösungsvorschläge und Instrumente zu drängenden Problemen zu entwickeln.
  • Das Team von “Inclusive Social Media” arbeitet mit Athlet:innen der Special Olympics zusammen, der nach eigener Beschreibung weltweit größten Bewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Vom 17. bis 25. Juni finden in Berlin die Special Olympics World Games statt. Das Projektteam und weitere Angehörige der TUM unterstützen die Veranstaltung und das große Rahmenprogramm zu Inklusion, beispielsweise mit einem Instagram-Kanal. In den vergangenen Tagen hat sich das Athlet:innen-Team aus Kanada an der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften auf die Spiele vorbereitet.

Technische Universität München

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Kontakte zum Artikel:

Elke Langbein
Technische Universität München (TUM)
Professur für Sport- und Gesundheitsdidaktik
Tel.: +49 89 289 24474
elke.langbeinspam prevention@tum.de

Dr. Daniela Schwarz
Technische Universität München (TUM)
Professur für Sport- und Gesundheitsdidaktik
Tel.: +49 89 289 24537
daniela.schwarzspam prevention@tum.de

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