• 22.10.2020
  • Lesezeit: 4 Min.

PISA-Studie befragt Jugendliche zu globalen und interkulturellen Themen

Gut informiert, weniger engagiert

Jugendliche in Deutschland fühlen sich gut über globale Fragen wie Armut und Klimawandel informiert, trauen sich Beurteilungen zu diesen Themen zu und bekunden Respekt gegenüber Menschen aus anderen Kulturen. Andererseits zeigen sie wenig Interesse, etwas über andere Kulturen zu lernen, denken nicht, dass sie viel an globalen Problemen ändern können und engagieren sich diesbezüglich weniger als Jugendliche in anderen Staaten. Dies zeigt die Zusatzbefragung „Global Competence“ der jüngsten PISA-Studie.

Jugendliche in der Schule istockphoto.com / Rawpixel
Bei Aufgaben über globale Themen fühlen sich die Schülerinnen und Schüler sicher.

Wie stark setzen sich Jugendliche mit globalen Themen wie Armut, Klimawandel oder Migration auseinander? Verstehen und wertschätzen sie andere kulturelle Sichtweisen? Setzen sie sich für das kollektive Wohlbefinden und eine nachhaltige Entwicklung ein?

Um herauszufinden, welche Einstellungen und Interessen Jugendliche zu diesen Fragen haben und wie sie ihr Wissen und ihre eigene Wirksamkeit selbst einschätzen, wurde die jüngste PISA-Studie erstmals mit einem Fragebogen zum Thema „Global Competence“ ergänzt. In Deutschland beantworteten rund 3.800 15-jährige Schülerinnen und Schülern im Frühjahr 2018 die Fragen. Lehrerinnen und Lehrer bekamen einen weiteren Fragebogen. Die Fragen wurden in insgesamt 66 Staaten bearbeitet, darunter in 27 Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die die Studie koordiniert.

Handlungsfähigkeit gering eingeschätzt

Die Jugendlichen in Deutschland fühlen sich etwas besser über global wichtige Themen informiert als der Durchschnitt der 15-Jährigen in den OECD-Staaten. Deutlich größer als ihre Altersgenossen schätzen sie ihre Fähigkeiten ein, Aufgaben zu diesen Themen zu lösen, also beispielsweise zu erklären, warum manche Länder mehr unter dem Klimawandel leiden als andere – in diesem Bereich erzielt Deutschland den höchsten Wert der teilnehmenden OECD-Staaten. Auch der Respekt für Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund ist hierzulande überdurchschnittlich groß. Die Jugendlichen beantworteten unter anderem, ob Kinder von Zuwanderinnen und Zuwanderern dieselben Bildungsmöglichkeiten haben sollten wie andere Kinder. Ihr Bewusstsein für interkulturelle Kommunikation ist im internationalen Vergleich durchschnittlich.

Dagegen haben die Schülerinnen und Schüler in Deutschland ein deutlich geringeres Interesse, etwas über andere Kulturen zu lernen, als die Jugendlichen im OECD-Durchschnitt. Auch ihre Handlungsfähigkeit bezogen auf globale Themen schätzen sie begrenzter ein, und ihre Bereitschaft, sich für globale Ziele zu engagieren ist schwächer ausgeprägt. Beispielsweise wurden sie gefragt, ob sie annehmen, dass sich ihr Verhalten auf Menschen in anderen Ländern auswirken kann, und ob sie sich an Aktivitäten für den Umweltschutz beteiligen.

„Wissen wenig in Handlung umgesetzt“

„Es ist wichtig, dass Schülerinnen und Schüler sich in einer zunehmend vernetzten und durch kulturelle Diversität gekennzeichneten Welt zurechtfinden“, sagt Prof. Kristina Reiss vom Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der Technischen Universität München (TUM), die den deutschen Teil der PISA-Studie leitet. „Das gelingt den Jugendlichen in Deutschland gut. Wir stellen aber auch fest, dass sie ihr Wissen und ihre Einstellungen noch wenig in Handlungen umsetzen.“

Dieses Ergebnis trifft auch auf andere Staaten zu, die aufgrund ihrer Demografie, kultureller Prägung und politischen Rahmenbedingungen Deutschland besonders ähnlich sind, zum Beispiel Österreich, Frankreich und Großbritannien. „Eine mögliche Interpretation ist, dass ein hohes Verständnis für die Komplexität der globalen Probleme eher zu der Einschätzung führt, dass man als Individuum wenig zur Lösung beitragen kann“, sagt Reiss.

Größeres Interesse der Mädchen an anderen Kulturen

Ein größeres Interesse, etwas über andere Kulturen zu lernen, haben Jugendliche mit Zuwanderungshintergrund im Vergleich zu denjenigen ohne Zuwanderungshintergrund. Erstere schätzen das Klima an den Schulen in Deutschland als diskriminierender ein als letztere. Dies ist beispielsweise ist Großbritannien anders, wo es diesen Unterschied nicht gibt, obwohl der Anteil der Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund vergleichbar ist. Schülerinnen und Schüler aus Familien mit hohem sozioökonomischen Status haben in Deutschland eine positivere Einstellung zu gleichen Rechten für Zuwanderinnen und Zuwanderern. Dieser Zusammenhang ist hierzulande größer als im OECD-Durchschnitt. Ebenfalls deutlicher ausgeprägt ist in Deutschland das größere Interesse der Mädchen an anderen Kulturen. Jungen trauen sich demgegenüber stärker zu, Aufgaben zu globalen Themen zu lösen, obwohl beide Geschlechter ihr Wissen genauso groß einschätzen.

Nur wenige Lehrkräfte interkulturell ausgebildet

Nur zehn Prozent der Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland geben an, in interkultureller Kommunikation ausgebildet worden zu sein. Lediglich zwei Prozentpunkte größer ist der Anteil derjenigen, die Methoden für den Unterricht gelernt haben, mit denen sie kulturelle Unterschiede berücksichtigen können. Dieses Ergebnis ist an Gymnasien und nicht-gymnasialen Schulen ähnlich. Allerdings zeigen die Gymnasiallehrkräfte eine positivere Einstellung gegenüber Zuwanderinnen und Zuwanderern.

„Die Lehramtsausbildung sollte interkulturelle Kompetenzen deutlich stärker berücksichtigen“, sagt Kristina Reiss. „Und sie sollte internationaler werden. In den meisten anderen Studienfächern ist ein Auslandsaufenthalt längst selbstverständlich. Es gibt keinen Grund, warum nicht auch künftige Lehrerinnen und Lehrer von Erfahrungen im Ausland profitieren sollten.“

Publikationen

Weis, M., Reiss, K., Mang, J., Schiepe-Tiska, A., Diedrich, J., Roczen, N. & Jude, N. (2020). Global Competence in PISA 2018: Einstellungen von Fünfzehnjährigen in Deutschland zu globalen und interkulturellen Themen. In D. Holzberger & K. Reiss (Hrsg.), Wissenschaft macht Schule, Band 2. Münster: Waxmann. DOI: 10.31244/9783830993001

Weitere Informationen und Links

Die Hauptergebnisse der siebten Studie „Programme for International Student Assessment (PISA)“ zu den Kompetenzen von Jugendlichen am Ende ihrer Pflichtschulzeit in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften wurden im Dezember 2019 veröffentlicht.

Den deutschen Teil der Studie führt das Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der Technischen Universität München (TUM) im Auftrag der Kultusministerkonferenz und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durch. Am ZIB sind neben der TUM das Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) und das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) beteiligt.

Zur Methodik:
Vergleiche im deutschen Studienbericht beziehen sich hauptsächlich auf die Gruppe der OECD-Staaten, nicht auf die anderen teilnehmenden Länder, bei denen einige Faktoren Vergleiche erschweren. Beispielsweise nehmen in manchen Staaten nur einzelne Regionen teil.

Da kulturell bedingte Antwortmuster nicht auszuschließen sind, können Vergleiche zwischen einzelnen Staaten verzerrt sein.

Beim Fragebogen der Lehrkräfte ist ein Vergleich mit anderen Staaten aus statistischen Gründen nicht möglich.

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