• 23.5.2025
  • Lesezeit: 5 Min.

Neuer Exzellenzcluster NUCLEATE erforscht RNA und DNA

„Wir erleben gerade eine Revolution in der Nukleinsäure-Forschung “

Die Technische Universität München (TUM), die LMU und die Universität Würzburg werden im Exzellenzcluster NUCLEATE künftig gemeinsam Funktionen und Regulation von Nukleinsäuren untersuchen. Neben neuen Erkenntnissen in der Grundlagenforschung wollen die Forschenden auch neue Therapeutika auf Basis dieser Nukleinsäuren entwickeln – als Grundlage für die Medizin von morgen. Stefan Engelhardt, einer der drei Sprecherinnen und Sprecher des Clusters und Professor für Pharmakologie und Toxikologie an der TUM erläutert im Interview die Bedeutung des Themas.

Prof. Stefan Engelhardt Andreas Heddergott / TUM
Prof. Stefan Engelhardt ist Pharmakologe und einer von drei Sprecherinnen und Sprechern des neuen Exzellenzclusters NUCLEATE.

Prof. Engelhardt, RNA-Forschung war in den vergangenen Jahren auch jenseits der Fachcommunity sehr präsent. Abgesehen von den in Rekordtempo entwickelten RNA-Impfstoffen gegen COVID-19 wurden innerhalb der letzten vier Jahre drei Nobelpreise für Forschung zu diesem Thema vergeben. Wie kommt das?

RNA ist schon lange bekannt und wir wissen auch schon länger, dass die verschiedenen RNA-Moleküle an der Entstehung von Krankheiten ganz wesentlich beteiligt sind. Wir sind aber jetzt an einem Punkt angekommen, an dem wir RNA-Moleküle therapeutisch beeinflussen können. Zusammengenommen mit der CRISPR-Methode eröffnet das völlig neue Möglichkeiten.

Versteht man die Funktionsweise von RNA vollständig?

Natürlich nicht. Wir wissen aber mittlerweile sehr viel mehr. In manchen Bereichen sind wir schon recht weit, beispielsweise bei den messengerRNAs kurz mRNAs, die den Bauplan für Proteine beinhalten. Bei anderen, etwa den nicht-codierenden RNAs gibt es noch viele offene Fragen. An diesen forschen aber weltweit sehr viele Teams. Und auch wir wollen im Exzellenzcluster NUCLEATE einen wichtigen Beitrag leisten.

Was bedeuteten die Fortschritte in der RNA-Forschung für die Medizin?

Als Pharmakologe beschäftige ich mich insbesondere mit Medikamenten und auf diesem Gebiet erleben wir derzeit eine Revolution. Tatsächlich erwarte ich, dass wir in den nächsten zehn Jahren den Aufstieg einer dritten großen Wirkstoffklasse in der Medizin sehen werden – den nukleinsäurebasierten Medikamenten.

Könnten Sie das erläutern?

Die bislang wichtigste Klasse sind niedermolekulare Wirkstoffe, die an Proteine im Körper andocken - das Spektrum reicht von Aspirin bis zu Krebsmedikamenten. Etwa seit den 1980er Jahren gibt es zudem sogenannte Biologicals, darunter unter anderem künstlich hergestellte Antikörper. Auch die binden an Proteine.

Und nukleinsäurebasierte Wirkstoffe tun das nicht?

Richtig. Sie beeinflussen die Proteine letztlich auch, aber sie tun das in dem sie sehr spezifisch die Gene oder die RNA-Vorstufen von Proteinen regulieren. Indem sie an RNA binden, verhindern sie zum Beispiel, dass bestimmte Proteine überhaupt gebildet werden. Umgekehrt kann man auch den Bauplan für bestimmte Proteine in den Körper schleusen, wie es bei mRNA-Impfstoffen geschieht.

Was ist der Vorteil dieses Ansatzes?

Es gibt derzeit weniger als 3000 zugelassene Wirkstoffe. Diese binden aber nur an etwas über 600 der etwa 20.000 Proteine in unserem Körper. Auf eine große Zahl an Mechanismen im Körper können wir mit den etablierten Wirkstoffklassen bislang gar nicht einwirken. Über die neuen Möglichkeiten, RNAs zu inhibieren, also zu verhindern, dass Proteine gebildet werden, können wir prinzipiell jedes Protein beeinflussen.

Was sind derzeit die größten Herausforderungen bei RNA-basierten Medikamenten?

Die drei größten Herausforderungen sind „Delivery“, „Delivery“ und „Delivery“. Soll heißen: Die Medikamente unbeschädigt in den Teil des Körpers zu bekommen, wo sie wirken sollen und ausschließlich dorthin, ist alles andere als trivial und das zentrale Problem, welches einem breiten Durchbruch der Nukleinsäuretherapeutika derzeit noch im Weg steht. Aber auch hier gibt es aktuell viele Fortschritte. Wir haben selbst beispielsweise einen Wirkstoff entwickelt, der selektiv auf eine microRNA in bestimmten Immunzellen einwirkt und sehr gezielt Gewebeschäden bei Lungenentzündungen verhindert.

Sie sind Pharmakologe. Ist die Forschung zu Nukleinsäuren schwerpunktmäßig ein Thema dieser Disziplin?

Bei uns an der TUM-Pharmakologie ist das so. Wie so oft leisten jedoch hier Kolleginnen und Kollegen aus ganz unterschiedlichen Bereichen der TUM gleichermaßen wichtige Beiträge.  Nehmen Sie die Virologie: Meine Kollegin Ulrike Protzer erforscht als Virologin Krankheitserreger, die letztlich Replikationsmaschinen für Nukleinsäuren sind. Das Wissen über diese Mechanismen lässt sich als Ansatzpunkt für Gegenstrategien nutzen. Krebsforscher wie Roland Rad untersuchen längst auch was in Tumoren mit den Nukleinsäuren geschieht und haben weltweit führende Screening-Methoden entwickelt. Aber es geht auch über die Grenzen der Medizin hinaus.

Welche anderen Disziplinen spielen eine Rolle?

Wir brauchen beispielsweise auch ganz grundlegende Forschung zur Struktur und Funktion von Nukleinsäuren, wie sie etwa Carina Baer de Oliveira Mann von der TUM School of Natural Sciences mithilfe von innovativen Elektronenmikroskopie-Technologien betreibt. Ohne die Bioinformatik wäre die Forschung gar nicht denkbar - wir brauchen sehr spezialisierte Werkzeuge, die jemand wie Prof. Fabian Theis entwickeln kann. Durch seine KI-basierten Werkzeuge lässt sich beispielsweise anhand eines „Schnappschusses“ der Moleküle in einer Zelle vorhersagen, wie sich die Zelle weiter verändern wird.

Sie sind schon seit einiger Zeit Co-Leiter von CNATM. An diesem Verbund aus Unternehmen und Forschungseinrichtungen sind zahlreiche Einrichtungen aus München und Bayern beteiligt. Meines Wissens ist das deutschlandweit das einzige Konsortium zu Nukleinsäure-Therapeutika. Ist das Thema denn eine besondere Stärke der Region?

Auf jeden Fall – viele wichtige Akteure auf dem Gebiet sind hier angesiedelt. Die Expertise kommt aus ganz verschiedenen Richtungen: Aus der Immunologie und der chemischen Strukturforschung zu Nukleinsäuren, mit Kollegen wie Veit Hornung und Thomas Carell von der LMU. Ein anderes Beispiel ist der Forschung zur RNA von Bakterien, mit der sich beispielswiese Cynthia Sharma und Jörg Vogel von der Universität Würzburg beschäftigen. Das ist schon deswegen wichtig, weil unter Umständen auch neue Antibiotika mit Nukleinsäure-basierten Ansätzen entwickelt werden könnten. Neben den Forschungseinrichtungen gibt es aber im Großraum München mittlerweile die deutschlandweit höchste Konzentration von kleinen und mittleren Unternehmen in der Nukleinsäureforschung. Auf dem Gebiet passiert gerade sehr viel und wir sind ein wichtiger Teil davon. Ich freue mich sehr darauf, zusammen mit meinen Co-Sprechern Cynthia Sharma und Veit Hornung diese Expertisen zusammen zu bringen.

Weitere Informationen und Links
  • Prof. Stefan Engelhardt leitet das Institut für Pharmakologie und Toxikologie an der TUM School of Medicine and Health. Er ist Sprecher des Sonderforschungsbereichs TRR 267 „Nicht-kodierende RNA im Herz-Kreislauf-System“ und entwickelt mit der TUM-Ausgründung RNATICS GmbH RNA-basierte Therapien gegen entzündliche Erkrankungen. Kürzlich wurde er in die Leopoldina, die Deutsche Akademie der Wissenschaften, berufen.

  • Exzellenzcluster an der TUM

Technische Universität München

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Kontakte zum Artikel:

Prof. Dr. Dr. Stefan Engelhardt
Institut für Pharmakologie und Toxikologie
Technische Universität München
Tel: +49 89 4140-3260
stefan.engelhardt@tum.de
ipt.med.tum.de

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