• 15.6.2023
  • Lesezeit: 6 Min.

Digitale Zwillinge und Cybersecurity-Strategien für moderne Arbeitswelten

Neue Lösungen für die Industrie der Zukunft

In zwei Langzeitprojekten, der "KI.FABRIK" und der „Deutsch-Französische Akademie für die Industrie der Zukunft“, gestalten unsere Forschenden zusammen mit internationalen Partnern aus Industrie und Forschung die Arbeitswelt der Zukunft mit.

Die Doktorandin Kejia Chen bespricht Ergebnisse mit ihrer Kollegin Jingyun Zhao. Andreas Heddergott / TUM
Die Doktorandin Kejia Chen (links) bespricht Ergebnisse mit ihrer Kollegin Jingyun Zhao.

Etwa hundert Roboterarme sind damit beschäftig, Kabel zu montieren und Getriebeteile zusammenzufügen, gemeinsam zu lernen und nachzuahmen, was Wissenschaftler:innen ihnen zeigen. Die Maschinen stehen im neuen Robotik-Lab, das Herzstück des Leuchtturmprojektes KI.FABRIK der TUM. Es wurde im Februar 2023 im Deutschen Museum eröffnet und soll bis 2030 laufen. 13 Millionen Euro investieren die Hightech Agenda Bayern, das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie und das Bayerischen Wissenschaftsministerium in das Vorhaben.

Das Ziel des Projektes ist es, eine Fabrik der Zukunft entstehen zu lassen. Darin sollen lernfähige und flexible Maschinen Menschen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) und kooperativer Robotik in ihrer Arbeit in der Fertigung oder dem Logistikbereich unterstützen. Prof. Sami Haddadin, Executive Director des Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence (MIRMI) hat es initiiert. Die Leitung für das Forschungs- und Entwicklungsprojekt der KI.FABRIK hat Klaus Bengler, Professor für Ergonomie, übernommen.

Selbstständiges Lernen

Roboter, die von einer KI-Plattform gesteuert werden, und ihre virtuellen Modelle, so genannte digitale Zwillinge, sind die technologische Basis der KI.FABRIK. „Die ganze Fabrik ist in Daten simuliert. Bevor noch irgendein Bauteil wirklich da ist, kann der Roboter mit einem digitalen Zwilling schon üben, was er montieren soll“, erklärt Klaus Bengler und ergänzt: „Roboter werden in Zukunft nicht programmiert, sondern sie lernen von uns, was sie tun sollen. Menschen machen ihnen etwas vor und sie machen es nach.“ Er will mit seinem Team und dem neuen Labor zeigen, dass Roboter Aufgaben selbständig lernen, optimieren und ausführen können.

Praxisnahe Projekte für Doktoranden und Postdocs

Kejia Chen kommt aus China und ist Teil des internationalen Teams. Sie ist seit Anfang 2022 Doktorandin an der TUM. Ihre Aufgabe ist es, Robotern beizubringen, Kabel in einer vorgegebenen Form, zum Beispiel wie den Buchstaben S, zu verlegen. Diese Tätigkeiten spielen beispielsweise in der Fertigung von Cockpits für Autos eine Rolle, wo bisher Menschen diese eintönigen, sich ständig wiederholenden Handgriffe ausführen. Kejia Chen arbeitet daran, dass künftig zwei Roboterarme selbständig das Kabel gemeinsam verlegen und fixieren.

Teamwork zwischen Robotern

Chens Forschungsprojekt zeigt erste Erfolge: sie kann eine gewünschte Kabelform in das System eingeben und der Algorithmus berechnet, wo die Klemmen zum Fixieren gesetzt werden müssen. Bis jetzt muss sie das noch von Hand machen, aber künftig sollen auch das ihre Roboterarme übernehmen. Im nächsten Schritt verlegen die beiden Maschinen in Teamwork das Kabel und befestigen es selbständig, indem sie es in die Halterungen schieben.

Obwohl dies leicht und unkompliziert aussieht, steckt viel Arbeit darin. „Wir hatten anfangs Probleme, den richtigen Moment zu finden, wann und wie der zweite Arm dem ersten zu Hilfe kommt, ohne dass sie zusammenstoßen. Aber wir konnten das Problem lösen, und jetzt arbeiten sie sehr gut zusammen“, sagt sie. Der nächste große Schritt ist es, für ihre Roboter digitale Zwillinge zu schaffen. Diese können dann mit der echten Produktion in einer Automobilfabrik vernetzt werden, und Kejia Chen kann komplexere Aufgaben simulieren und später mit den Robotern üben und ausführen.

Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft

Insgesamt arbeiten die Forschenden an acht Technologieschwerpunkten – von Teleoperation über kollektives Lernen bis hin zu Netzwerkdesign und mobiler Robotertechnik. Neben Wissenschaftler:innen aus der TUM School of Computation, Information and Technology und der TUM School of Engineering and Design, sind auch viele Industriepartner in dem Konsortium vertreten. Für sie ist es entscheidend, sich auf geänderte, individuellere Kundenanforderungen einzustellen und den Wandel in den Fabriken umzusetzen – mit Hilfe von lernfähigen und sensitiven Robotern.

Eine ganz besondere Deutsch-Französische Forschungsfreundschaft

Mit dem Ziel, die Industrie in Frankreich und Deutschland auf solche künftigen Entwicklungen vorzubereiten und zu stärken, wurde 2016 ein weiteres Langzeitprojekt der TUM ins Leben gerufen: die „Deutsch-Französische Akademie für die Industrie der Zukunft“ (engl. German-French Academy for the Industry of the Future, GFA). Darin arbeiten die TUM und das Institut Mines-Télécom (IMT) eng zusammen – in Forschung, Ausbildung und bei Innovationen. Das IMT ist die größte französische „grande école“ mit Standorten überall in Frankreich.

Seit der Gründung der GFA kooperieren deutsch-französische Tandems in über 27 unterschiedlichen Forschungsprojekten und kümmern sich gemeinsam um die Ausbildung von Studierenden und Doktoranden. Die Akademie vergibt zudem so genannte SEED-Fördermittel an risikoreiche, aber vielversprechende Projektideen und unterstützt sie bei den Vorbereitungen von Bewerbungen für größere Grants zum Beispiel von der EU. Ihre Schwerpunktfelder sind Cybersicherheit, KI, zukunftsorientierte Produktionstechnologien und vernetzte Systeme.

3D-Brillen für mehr Cyber-Sicherheit

„Die GFA ist ein lebendiges Forum, das den Austausch zwischen den beiden führenden Nationen Europas entscheidend stärkt. Zahlreiche motivierte Menschen engagieren sich hier, um die deutsch-französische Forschungszusammenarbeit zu stärken“, sagt Prof. Marc-Oliver Pahl, Inhaber des Lehrstuhls „Cybersecurity for Critical Networked Infrastructures“ am IMT.

Der Wissenschaftler kennt beide Partner der Akademie sehr gut: er war von 2008 bis 2019 an der TUM und ist jetzt Professor am französischen IMT Atlantique. Er hat selbst erfolgreich Forschungsprojekte wie zum Beispiel „TRUE-VIEW“ durchgeführt. Darin hat sich ein deutsch-französisches Forschungsteam mit dem Nutzen des Metaversums für die Bereiche Cybersicherheit und Privatsphäre beschäftigt. Diese Forschungsaktivitäten führten zum gemeinsamen Horizon Europe “CyberSecDome”- Projekt, das ab 2023 mit 13 Partnern, darunter TUM und IMT, und über sechs Millionen Euro von der Europäischen Union gefördert wird.

Entwicklung von Prototypen für die Erweiterte Realität

Computersysteme werden immer allgegenwärtiger: ständig werden überall Daten über uns erfasst und verarbeitet – ohne dass uns dies überhaupt bewusst ist. Daher haben Pahl und sein Team mit Hilfe ihres Projekts erforscht, wie das Metaversum uns dabei helfen kann, diese uns umgebende unsichtbare Datenerfassung und -verarbeitung zu erkennen. Im Metaversum tragen die Nutzer 3D-Headsets, mit denen sie die virtuelle Welt betreten können.

Die Forschenden entwickelten im Rahmen von Machbarkeitsstudien verschiedene Prototypen für die so genannte Erweiterte Realität (Virtual/Augmented Reality). Dabei entwarfen die Wissenschaftler:innen Szenarien, in die man sich mittels 3D-Headset begeben kann: unter anderem die Visualisierung von WiFi-Signalen im Informatik-Gebäude der TUM, Informationsverarbeitung in der Fabrikautomatisierung oder Verarbeitung von Klimadaten.

Lebendiger Austausch und neue Lernformate

Neben seinen Forschungstätigkeiten ist Marc-Oliver Pahl bei der Akademie im Lenkungsausschuss sowie für die „Future Education“ aktiv. Seit vielen Jahren lehrt er, beschäftigt sich mit digitalen Lernformaten und leistete Pionierarbeit beim E-Learning. Die GFA arbeitet daher an kostenlosen digitale Lernformaten wie MOOCs unter anderem zum Thema „Future of Work“. Die Mission der GFA ist es, lebenslanges Lernen über die Veränderungen der Arbeitswelt und der Digitalisierung in der Wirtschaft nicht nur für internationale Studierende und Doktoranden, sondern auch für Fachpersonal zu fördern.

Immer in deutsch-französischer Zusammenarbeit, organisiert die GFA PhD Schools, Workshops und Hackathons für Studierende, Doktoranden und Wissenschaftler:innen aus unterschiedlichsten Ländern mit Partnern aus der Industrie. Über 35 große und mittelständische Unternehmen aus Deutschland und Frankreich arbeiten mit der GFA zusammen. „Es ist unglaublich toll zu sehen, wie viele Partner in Industrie und Wissenschaft die GFA schon für sich gewinnen konnte“, sagt Marc-Oliver Pahl.

 

Der Artikel wurde bereits auf der Webseite "Research in Bavaria" des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst veröffentlicht:

https://www.research-in-bavaria.de/industry-of-the-future

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